Genau so – und nicht anders
MOZARTWOCHE / CAMERATA / CAPUCON
04/02/23 Ein magisches Jahr für Mozart und die Geige. 1775 schrieb er vier seiner fünf Violinkonzerte, und damit hatte er die Werkgattung für sich quasi abgehakt. Eine ganz sonderbare zeitliche Konzentration. – Gar wundersame zweieinhalb Mittagsstunden mit Renaud Capuçon und der Camerata Salzburg.
Von Reinhard Kriechbaum
Was für geigerische Verhaltensauffälligkeiten im Einzelnen! Wahrscheinlich haben der Fürsterzbischof und die musikalischeren Leute an seiner Tafel augenblicklich im Kauen innegehalten und das Besteck weggelegt, als im A-Dur-Konzert KV 219 der Solist einsetzte. Da wird nämlich nicht er eloquente Ton der Orchestereinleitung weiter geführt, sondern das Soloinstrument setzt mit einem langen Halteton ein (man kennt so etwas sonst von Kastraten-Arien) und bringt ganz andere Gedanken ins Spiel. Das ist sozusagen der Nukleus all dieser Konzerte, KV 219 ist aus gutem Grund das populärste. In fünf Werken lotete Mozart aus, was an Individualität in dieser Form denkbar, möglich, Musikern und Hörern zumutbar ist.
Der Komponist, damals zugleich sein bester Interpret vermutlich, wäre gewiss nie auf die Idee gekommen, diese fünf Konzerte hintereinander zu spielen (und, zum Drüberstreuen, noch eines der beiden Rondos für Violine und Orchester). Aber in unmittelbarer Zusammenschau wie am Donnerstag (2.2.) zur Mittagsstunde, wurde für die Hörer offenkundig, wie lustvoll – und ja, genial sowieso – Mozart experimentiert hat. Das ist nicht eine Masche in fünf Varianten, es sind fünf grundverschiedene Konzerte, mit jeweils ur-individuellen Ideen, Anregungen und Lösungen.
Das exemplarisch vorzuzeigen, sind also Renaud Capuçon und die Camerata Salzburg angetreten. Fürs Orchester war es ein „Heimspiel“ insofern, als das verantwortungsvolle Aufeinander-Hören und Reagieren ja die Kernkompetenz dieses Kollektivs ist. Der französische Solist, der seine Karriere als Konzertmeister beim Gustav Mahler Jugendorchester begonnen hat, ist seinerseits ein Kammermusiker, der mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit auf den Dialog setzt.
Er zeigt durchaus ähnliche Experimentierlust wie Isabelle Faust, und das analytisch Grüblerische eines Frank Peter Zimmermann ist auch ihm nicht ganz fremd (um nur zwei zu nennen, die zur Zeit bei Mozarts Violinmusik zuvorderst mitmischen). Capuçon bringt das irgendwie unterschwellig zusammen. Über die Elegance seines Geigentons braucht man sowieso kein Wort zu verlieren, sehr wohl aber über über den unaufdringlichen Einfallsreichtum. Da fügte sich im ständigen konstruktiven Diskurs mit der Camerata einfach eines ins andere. So selbstverständlich, als wäre es die einfachste Sache der Welt.
Das Mozartwochen-Publikum, sonst große Huster vor dem Herrn, wirkte zweieinhalb Stunden lang in Bann geschlagen. Es lauschte dem wirklich herzerfrischenden Auftakt (dem seltener gespielten Konzert B-Dur KV 207, in dessen Andante-Auftakt schone sanfte Cosi-Zefiri hineinzuwehen scheinen. Es wirkte konzentriert im ebenso eher weniger geläufigen Konzert D-Dur KV 211 mit dem betulichen Gavotten-Duktus im ersten Satz und der Manuett-Anmutung im Rondo. Mozart mag da mit den Erwartungen seiner höfischen Zuhörer im post-barockem Geist spekuliert haben.
Die Trias der wirklich bekannten Konzerte bilden jenes in G-Dur KV 216, D-Dur KV 218 und eben jenes in A-Dur KV 219 mit den Einschüben „alla ungarese“ und „alla turca“ im Finale. In dieser Interpretation ist einem bewusst geworden, wie viel vom Musikdramatiker Mozart gerade in diesen drei Konzerten steckt. Verkleidet sich der Solist im Rondo des Konzerts KV 218 nicht kurzzeitig als Dudelsack- oder Radleier-Spieler? Bleiben wir doch kurz nur bei diesem Satz: Wenn man den so akkurat langsam angeht, glaubt man nicht nur einen Maskenball zu erleben, sondern man vermeint auch das Umkleiden mitzubekommen. Da legt Harlekin also vor der letzten Wiederkehr des Rondo-Themas sein Kostüm ab, so launig, das selbst das eine kleine Show für sich ist.
Ganz andere Stimmung im Adagio des A-Dur-Konzerts: Da gab es in dieser durchdacht-tiefsinnigen Gestaltung keine vorschnellen Antworten. Capuçon und die Camerata ließen die Zuhörer, ohne sie zu bevormunden, teilhaben an dem leicht schwankenden Stimmungskosmos zwischen stillem Vergnügen und Nachdenklichkeit.