Stress? Ein Fremdwort.
MOZARTWOCHE / TICCIATI, LEVIT
29/01/23 Drei Mal Wiener Philharmoniker unter Barenboim – das wäre reichlich viel gewesen. „Angenehm in die Ohren“, um Mozart in Sachen A-Dur-Klavierkonzert KV 414 zu zitieren, ist alleweil die Abwechslung. Die Paarung Robin Ticciati mit Igor Levit erwies sich im ersten „Philharmonischen“ der Mozartwoche als Glücksfall sondergleichen.
Von Reinhard Kriechbaum
Die letzte Salzburg-Begegnung mit Robin Ticciati ist schon wieder eine Zeitlang her. Man hat ihn ja irgendwie als Rattle-Clon vor Augen und im Ohr. Als Assistent von Sir Simon Rattle hat der 1983 geborene Londoner diesem viel abgeschaut. Als Vierzigjähriger kann Ticciati auf eine schöne Karriere verweisen. Musikdirektor des Glyndebourne Festivals und Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin sind aktuelle Führungspositionen. Ticciatis Werdegang ist, wiewohl in exponierten Höhen internationaler Beachtung, einigermaßen ruhig und kongruent verlaufen, und das ist heutzutage eher die Ausnahme. Für die Persönlichkeitsbildung war das ohne Zweifel von Vorteil.
Es ist also wohl kein Zufall, dass die Wiener Philharmoniker Robin Ticciati ernst nehmen. Diesen Eindruck hat man jedenfalls mitgenommen am Samstag (28.1.) im Großen Festspielhaus. Die vier Zwischenaktmusiken zu „Thamos, König in Ägypten“ KV 345 sind nicht Orchester-Alltag. Drei dieser Stücke sind im Kern hochdramatisch angelegt, aber es gilt, viele Stimmungswechsel auszuleuchten. Es ist keine geradlinige Musik. Auch nicht der einzige Andante-Satz, in dem sich die Holzbläser so schön zum Pizzicato der Zweiten Geigen fügen und sich zugleich den gestrichenen Synkopen-Tönen der ersten Geigen beiordnen. Solches will genau ausgearbeitet sein. Viele originelle Einzelheiten sind da herausgekommen.
Im Zentrum dieses Abends stand freilich das Konzert A-Dur KV 414, eines der lyrischsten Klavierkonzerte Mozarts. Dieser Tage ist ein Dokumentarfilm über Igor Levit in die Kinos gekommen, in dem er sich selbst – nicht unkokett – auch als Getriebenen inszeniert. In diesen glückhaften 35 Minuten und in einer üppigen Zugabe war aber ein ganz anderer Musiker zu erleben. Fern jeder Extravaganz erkundeten da ein Pianist und ein ungefähr gleichaltriger Dirigent in ganz rarer Übereinstimmung den Pulsschlag einer Musik, die diesmal – zugegeben, das zu schreiben klingt kitschig – direkt aus dem Himmel gefallen schien. Es war schon erstaunlich, wie füllig Robin Ticciati die Philharmoniiker in der Orchesterexposition „singen“ ließ und doch den Blick sehr genau auf die Feinmechanik der Stimmführung lenkte. Da fand Igor Levit also Angebote vor, an denen er wie selbstverständlich anknüpfte, immer ganz Ohr für die Phrasierungen und geradezu schlafwandlerisch sicher, was die dynamische Feinzeichnung betraf. Stress? Ein Fremdwort. Zu abgegriffen wäre für dieses Musizieren das Bild von einem Ball, der die Seiten wechselte. Viel eher war es eine elegante Jonglage mit vielen kleinen Bällen, die wie selbstverständlich übergeben wurden. So unmittelbar auf die Sache bezogen, ohne auch nur einen Anflug von ehrgeiziger Eigenwilligkeit, habe ich Levit noch nie Mozart spielen hören – und auch die Wiener Philharmoniker selten so gespannt unmittelbar reagierend. Man war da einfach am Kern der Sache.
Und dann noch einmal eine Mozart-Lektion, so verinnerlicht, dass einige Ungeduldige leider ins Husten gekommen sind: Das Andante aus der B-Dur-Sonate KV 570. Manche Hör-Erlebnisse wollte man im Kopf auf ewig konservieren.
Zu toppen waren diese Mozart-Glücksmomente nicht mehr. Für die Linzer Symphonie KV 425 herrschte dann doch eher philharmonischer Normalbetrieb. Da war viel Drive drin und – weil Ticciati wirklich alle Wiederholungszeichen ernst nimmt – im schier endlosen Schlusspresto auch ein bemerkenswertes Maß an Spannung. Aber eine ähnliche Detailorientriertheit, wie sie die Thamos-Musiken und eben das Klavierkonzert auszeichneten, schien da nicht angestrebt.