Im Handgemenge mit dem Bachchor
MOZARTWOCHE / DON GIOVANNI
28/01/23 Wie entsorgt man eine nicht un-pfundige Leiche, jene des Komturs, wenn sie mitten auf dem Podium, unmittelbar vor dem Dirigenten liegt? Robert Holl überfordert drei schmächtige Bürschchen vom Bachchor eindeutig, und so muss der eben Ermordete nolens volens selbst seine Gehwerkzeuge benutzen. Von seinen „erkalteten Gliedern“ hat Donna Anna soeben gesungen...
Von Reinhard Kriechbaum
Bevor Don Giovanni sich der schurkischen Schwerenöterei hingegeben hat, scheint er – nahe liegend in Sevilla – eine profunde Ausbildung zum Stierkämpfer durchgemacht haben. Wie einen Stier lässt lässt Regisseur Rolando Villazón den aufgebrachten Vater von Donna Anna gegen den Tochter-Verführer anrennen, und dieser bewährt sich als sinistrer Torero. Es wird ganz schnell klar an diesem Abend: Die giocoso-Komponente im dramma wird nicht zu kurz kommen.
Eine halb-konzertante Opernaufführung hat ihre Tücken, und man muss Rolando Villazón wohl mildernde Umstände zusprechen. Die Angelegenheit wäre auch für einen echten Regisseur eine Herausforderung. Freilich: Den Don Giovanni als solche Klamotte in die Felsenreitschule zu stellen, das hätten die Mozart-Lordsiegelbewahrer der Stiftung Mozarteum ihrem hyperaktiven Festival-Leiter schon sehr entschieden ausreden sollen.
Lieber nicht beschreiben, was einer Beschreibung spottet. Lassen wir also, was sich rund ums Orchester und zwischen den beiden Dekorationshäuschen links und rechts abspielt. Musikdramatische Zuspitzung ist nicht ganz einfach, wenn der Komtur hinter einer klassizistischen Büste auf schmalem Sockel steht und ganz Libretto-getreu den Gipskopf hin und her dreht. Und für Don Giovannis Höllenfahrt müssen wieder ein paar Chorsänger beherzt ran. Ein improvisiertes kleines Handgemenge löst die Misere.
Musik! Die ist gottlob nicht totzukriegen. Zum Siebziger also schenkt man Sir András Schiff, seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten dauerbeschäftigt bei der Mozartwoche, diesen Don Giovanni. Teil eines Zyklus, der knapp vor Corona im Jänner 2020 mit dem Figaro begonnen hat und auch noch die dritte Da Ponte-Oper Mozarts, Cosi fan tutte, einschließen wird. Die Cappella Andrea Barca hat 1999 als Telefonbuchorchester begonnen (es galt, Mozarts Klavierkonzerte zyklisch aufzuführen), hat sich aber bald konsolidiert. Dieses Kollektiv samt und sonders aus kammermusikalisch firmen Musikern hat allemal die Kompetenz, den Don Giovanni rund hinzukriegen. Der Anteil, den Schiff als Dirigent hat, ist schwer einzuschätzen.
Gerne wendet er sich vom Orchester ab und gibt den an der Rampe agierenden Sängern – hinter deren Rücken also – Einsätze um Einsätze, derer sie am allerwenigsten bedürfen. Derweil ist das Orchester aber wach und flexibel allein unterwegs. Diese Leute brauchten keinen Dirigenten, es sei denn für eine übergeordnete dramatische Linie. Aber die kommt von András Schiff ohnedies nicht.
Schiff ist Mozart-Lyriker, und das wiederum bekommt den Sängerinnen und Sängern gut. Die Tempi sind immer auf der moderaten bis langsamen Seite. Da kann ein alter Buffo-Fuchs wie Maurizio Muraro als Leporello nicht nur in der Register-Arie – hier ein langes Schriftband auf einer Rolle, auf dem Donna Elvira entrüstet herumtrampelt – alle Register vokaler Komödiantik ziehen.
Die Entdeckung an diesem Abend ist Julian Prégardien als Don Ottavio, der gar wundersam weich und mit Höhenschmelz nach Donna Anna schmachtet. Eine brillante Technik stützt die exponiertesten Piani, und dieser junge Sänger hat auch kluge, unaufdringliche Verzierungen drauf. Ein lyrischer Tenor der Sonderklasse. Eine Luxusbesetzung ist auch Julia Lezhneva als Zerlina, die gestalterisch viele Zinsen herausholen kann aus dem von Schiff eingebrachten lyrischen Kapital. Julien van Mellaerts ist ein gar nicht derber Masetto.
Johannes Kammler in der Titelrolle: In einer ernsthaften szenischen Aufführung würde dieser Don Giovanni als eleganter Beau für sich einnehmen, und diese äußere Erscheinung passt auch haargenau auf seine elegant geführte Stimme. Verführungskunst pur, und auch da viel Raum zum Atmen und zum genauen Artikulieren. Das Auftrumpfen in der Champagner-Arie ist Kammlers Sache eher nicht, und im Finale wird – das gilt auch für den posthumen Auftritt von Robert Holl als Komtur – ohnedies alle Dramatik von der szenischen Lächerlichkeit unterlaufen.
Das Dramatische, die starke Emotion: Auf die hat man einen Abend lang vergeblich gewartet, und das lag sehr wohl an Sir András Schiffs wenig zielgerichteter dramaturgischer Hand. Sylvia Schwartz wäre mit ihrer eher metallischen Stimme eine fordernde Donna Anna, wenn sie denn seitens des Orchesters entsprechenden Input erhielte. Und die Donna Elvira der expressiv sich verausgabenden Magdalena Kožená litt besonders an Schiffs eher eindimensional lyrischer Sicht auf die Dinge: Auch da brauchte es einen reaktionsstarken Dirigenten, der Impulse aufgreift und mitträgt. Die Kožená wirkte wie eine Rakte, deren Abschussrampe auf Sand gebaut ist.
Dem Schlussbeifall nach zu schließen, ist dem Mozartwochen-Publikum wenig abgegangen, es hat die Sängerleistungen gerecht abgestuft honoriert. Rolando Villazón hat sich nicht gezeigt am Ende. Das war gut so.
Zweite Aufführung am Sonntag (29.1.) um 15 Uhr in der Felsenreitschule – mozarteum.at/mozartwoche
Bilder: Stiftung Mozarteum / Wolfgang Lienbacher