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Ein kleiner Ohrenkitzel

MOZARTWOCHE / 94 SEKUNDEN NEUER MOZART

28/01/21 Den Genius loci darf man nicht unterschätzen. 94 Sekunden neuer Mozart waren zum Auftakt der virtuellen Mozartwoche versprochen. Und es wurden dann, beim zweiten Durchlauf des Allegro in D für Klavier KV 626b/16, doch deren 96. Beim ersten Mal waren es immerhin 95:39 Sekunden.

Von Reinhard Kriechbaum

Eine gewisse Unschärfe räumen wir gerne ein, ganz präzise drückt der Finger nicht auf die Handy-Stoppuhr. Lohnen die rund anderthalb Minuten? Nikolaus Harnoncourt hat einmal über Mozart gesagt, dieser sei als Genie vom Himmel gefallen. So kurz und knapp die Musik auf diesem vorne und hinten beschriebenen Notenblatt ist – es ist alles andere denn eine Lappalie. Der blutjunge südkoreanischen Pianisten Seong-Jin Cho hat vorführen können, dass dieses Allegro mit ein paar Anschlagsnuancierungen, zum Beispiel der einen oder anderen spontanen Wendung ins Weiche, für die Kleinstform erstaunlich die Ohren zu kitzeln vermag.

Kind war Mozart keines mehr. Er war siebzehn, als er das Allegro auf seiner dritten Italienreise komponierte, möglicherweise das Notenblatt faltete und seiner Schwester Nannerl nach Salzburg schickte, die es dann als ein sehr persönliches Andenken an den Bruder lange verwahrte. So schätzt jedenfalls Ulrich Leisinger die Sache ein, der in dem Online-Konzert am Mittwoch (27.1.) im Gespräch mit Rolando Villazon aus der musikwissenschaftlichen Schule plauderte. Das Papier kann man untersuchen, die Tinte ebenfalls. Außerdem liegen im Tresorraum der Stiftung genug handschriftliche Notenblätter aus allen Lebensabschnitten, so dass man eine Entdeckung wie diese durch Schriftvergleich ziemlich genau datieren kann. War interessant zuzuhören.

Fein jedenfalls, dass ein englischer Spezialist für Musikhandschriften das gut hundert Jahre in Privatbesitz befindliche Notenblatt der Stiftung Mozarteum zum direkten Ankauf vermittelt hat. Wäre es in einem Auktionshaus gelandet, hätte man sich diese Rarität kaum leisten können. Im Programmheft nachzulesen: „Der Rekordpreis für ein einseitig beschriebenes Blatt (mit der Kadenz zur Sinfonia concertante für Violine und Viola KV 364) liegt seit dem Jahr 2012 bei 409.250 Britischen Pfund!“

Die Mozart-Wissenschaftler sind besonders glücklich über das nun erstmals in neuerer zeit wieder aufgeführte Allegro, weil es kein Fragment, sondern ein wirklich komplett niedergeschribenes Stück ist. Die Echtheit stehe außer Zweifel, heißt es.

Die Stiftung Mozarteum hat das Kleinod auch als Faksimile herausgegeben, die Handschrift steht obendrein zum Download bereit und ist in ordentlicher Notenschrift ebenfalls online verfügbar. Anhand des Allegro in D für Klavier KV 626b/16 können Musikfreunde mit PC oder Laptop ausprobieren, wie gut die Stiftung im vergangenen jahrzehnt technisch aufgerüstet hat, indem sie emsig Handschriften digitalisiert hat und die Noten der Neuen Mozart-Ausgabe Musikern und anderen Interessierten virtuell zur Verfügung stellt. Wer sich heutzutage in Sachen Mozart-Urtext schlau machen will, ist wirklich gut dran.

Seong-Jin Cho hat in dem Stream-Konzert noch die Klaviersonate F-Dur KV 332 gespielt, stilistisch deutlich kerniger und akkurater als jenes Demo, mit dem die Deutsche Grammophon Werbung macht für diesen Pianisten macht. Außerdem weitere pianistische Mozart-Fundstücke der letzten anderthalb Jahrzehnte: Pimpinella KV 33B ist die Klavierbearbeitung eines (fremden) Lautenstücks, das Allegro C-Dur aus einem Salzburger Notenbuch (ohne Köchel-Nummer) ist die Klavierfassung eines Orchesterstücks. Hört man auch nicht jeden Tag.

Wer auf Fidelio diesen Konzerten lauscht, wird leider nicht mit der Nase drauf gestoßen, dass es auch zu diesen Streams ordentliche Programmhefte gibt wie zu „echten“ Mozartwochen-Konzerten. Die kann man aber auf der Seite der Stiftung aufrufen und on screen durchblättern.

Das neu entdeckte Mozart-Stück als Faksimile und in gedruckten Noten
Bilder: Stills aus dem Stream auf fidelio

 

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