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Da geht dir der Arsch auf Grundeis

MOZARTWOCHE / DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

28/01/18 Das ist trickreich: In einer Zeit, da der Clash zwischen Abend- und Morgenland so nahe ist wie das Fremde und dessen Werte, die uns in die unmittelbare Nachbarschaft gespült werden – in einer solchen Zeit steigt Regisseurin Andrea Moses einfach aus und macht auf L'art pour l'art. Sehr zum Missfallen des Premierenpublikums. Ein Buh-Orkan solchen Ausmaßes wie nach der „Entführung aus dem Serail“ war bei der Mozartwoche wahrscheinlich noch nie zu vernehmen.

Von Reinhard Kriechbaum

Ein Film-Setting: Bassa Selim (Peter Lohmeyer) nimmt auf dem Regiestuhl Platz. Dieser Mann trägt die Züge von Gunter Sachs. Dem mehrheitlich älteren Mozartwochenpublikum ist der Playboy aus St. Tropez, der Brigitte Bardot nicht nur fotografiert, sondern auch kurzzeit-geehelicht hat, noch geläufig. Jüngere Semester könnten Verständnis-Schwierigkeiten bekommen. Dieser Bassa Selim/Gunter Sachs jedenfalls ist jetzt umtriebig als Filmemacher. Offenbar steht gerade ein Werbefilm (Producer: Selim Motion Pictures) für eine türkische Fluglinie an. Schaut so aus (und hört sich so an), als ob „Die Entführung aus dem Serail“ den Plot abgäbe. Mit dem Verführen der Filmsternchen läuft's nicht so recht für den Regisseur und seinen Handlanger Osmin. Die beiden Damen jedenfalls sind so fixiert auf ihre Lebensabschnittspartner, dass zuletzt sogar eine Drehbuchänderung nötig ist: „Der Film fällt aus. Der neue heißt: Vergib uns, Herr! Und darf ich bitten: Spielt dass wenigstens begabt, kurz und knapp, das Herzschmerzgemurkse.“

Kurz und knapp! Davon kann leider keine Rede sein. Dreieinhalb Stunden dauert diese „Entführung“, weil Andrea Moses Szene um Szene neue, querständige Ideen entwickelt. Eine jede klug gedacht, aber in Summe eine Überfrachtung sondergleichen, da auch das Original-Libretto erhalten bleibt, die Angelegenheit also wortlastig sondergleichen ist. Darüber kann auch nicht der dauerbeschäftigte Mann am Hammerklavier (Kompliment, Andreas Küppers) nicht hinwegtragen, der viele gesprochene Dialoge mit Mozart-Themen zu Melodramen umformatiert. Das Rondo alla turca wird hinlänglich ausgereizt. Das Lied „Ich möchte wohl der Kaiser sein“ mit der hübschen Textzeile „Die Muselmänner müssten zittern“ liegt nahe, weniger die Maurische Trauermusik, die im Finale die zwischen Trübsal und Zorn schwankende Stimmung des Bassa untermalt.

All das ist grundsätzlich begründet, im Einzelnen sinnvoll erdacht – aber mit lexigraphischem Vollständigkeitswillen zusammengefügt und obendrein im Bestreben, nur ja kein Mätzchen wegzulassen. Es dauert, dauert, dauert. Darob verzagt man als Zuschauer/Zuhörer und verliert schließlich jegliches Interesse an den Figuren selbst, an ihren Befindlichkeiten und ihrer Psychologie. Da wird, schlicht und einfach, eine Kunstform weit überstrapaziert. „Da geht dir der Arsch auf Grundeis“, sagt der Bassa zu Belmonte – und dem Zuschauer geht’s, sagen wir's genau so unverblümt, am Arsch vorbei.

Was retten die Sänger, was rettet die Musik? Im Orchestergraben des Hauses für Mozart walten die Akademie für Alte Musik Berlin und René Jacobs. Auf CD hat Jacobs die „Entführung“ schon aufgenommen, szenisch ist es für ihn das erste Mal. Der sanfte Seidenglanz der Streicher in diesem Orchester ist legendär, er ermöglicht ein charakteristisches Hervortreten der Holzblasinstrumente. Die ausgiebig eingesetzten „Türkeninstrumente“ rasseln, scheppern und tuschen aber schon auch aufdringlich laut.

Keine Frage aber: Man kann zu René Jacobs nicht ernsthaft gefühlsintensiver, aber handwerklich untadeliger Begleitung sehr gut, unforciert singen, gerade in diesem überakustischen Raum. Davon profitiert vor allem Sebastian Kohlhepp als Belmonte, ein ganz vorzüglicher, wendiger, für dieses Fach prädestinierter Tenor. Julian Prégardien, der Pedrillo, ist als ausgezeichneter Liedsänger einer, der jede Textnuance pointiert rausbringt und in diesem Sinn ein starker Gegenspieler für den mit nicht minder präziser Eloquenz sich einbringenden David Steffen als Osmin. So schlank kann Tiefe sein! Die Vorzüge eines muttersprachlichen Ensembles kann man nicht genug loben, das ist selten heutzutage auf den Bühnen. Die einzige Amerikanerin, Robin Johannsen, ist lange genug im deutschen Sprachraum unterwegs, um auch für sich das Etikett „Muttersprachlerin“ in Anspruch zu nezhmen. Diese Konstanze ist ein Leichtgewicht im Volumen, anfangs fast ein wenig piepsig, mit der Tiefe der lyrischen Aufgabe im Verlauf des Abends konsolidierter.

Nikola Hillebrand wirkt als Blonde jedenfalls stimmlich deutlich souveräner, und in diesem Fall muss man auch aufs Casting verweisen. Die Dame zeigt Bein im Serail und kann sich sehen lassen... Im übrigen zieht Blonde, unter den begierigen Augen Osmins mit Staubwedeln beschäftigt, einen Goethe-Band aus dem Regal und beginnt vorzulesen aus und auf dem Westöstlichen Divan. Das auch noch.

Allerlei Filmvolk umgibt die Protagonisten, die Damen des Salzburger Bachchor sind einmal als kesse türkische Flugbegleiterinnen verkleidet, und fürs Finale wirkt der Chor wie frisch aus den Hotelbetten geholt. Pyjamaparty statt Humanismus und Aufklärung, das hat schon auch hintergründigen Witz. Machte man sich mit einer gewissen Distanz zur Sache radikal ans Ausmisten, wäre diese „Entführung“ möglicherweise zu retten.

Weitere Aufführungen am 30. Jänner und 2. Februar, 19.30 Uhr im Haus für Mozart – www.mozarteum.at
Bilder: Stiftung Mozarteum / Bernd Uhlig

 

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