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Wie viel Gegenwart verträgt die Literatur?

LITERATURFEST SALZBURG / HINTERGRUND

17/05/16 „Die Literatur schuldet der Realität nichts“, hat jüngst die Autorin Anna Mitgutsch in Salzburg gesagt. Die Organisatoren des Literaturfests – die Literaturvermittlerin Christa Gürtler, der Verleger Jochen Jung und der Buchhändler Klaus Seufer-Wasserthal – unterhalten sich hier ebenfalls über „Gegenwärtigkeit“, eines der Themen des Festivals von 18. bis 22. Mai.

Also: Wie viel Gegenwart verträgt denn nun die Literatur?
Christa Gürtler
: Ich denke, Literatur kann gar nicht genug Gegenwart vertragen! Aber Schriftstellerinnen und Schriftsteller wissen auch, dass die Gegenwart ohne Vergangenheit nicht zu begreifen ist, und dass Distanz notwendig ist, um die Gegenwart zu beschreiben. In einem Interview hat Peter Handke vor kurzem gesagt: „Jetzt ist jetzt. Wir müssen von jetzt reden, das Jetzt beschreiben und analysieren.“ Ich finde, er bringt die Rolle des Schriftstellers damit auf den Punkt. Und die ästhetische Form kann ganz verschieden sein, das können alle erleben, die das Literaturfest Salzburg besuchen und zum Beispiel bei der Eröffnung Dževad Karahasan, Adolf Muschg, Monika Rinck und Jens Nielsen zuhören!
Jochen Jung: Offen gestanden, das mit der Gegenwart kann leicht zu viel werden. Literatur ist ja immer Inhalt, in Form gebracht, die Gegenwärtigkeit wird aber in der Regel nur inhaltlich wahrgenommen. Überhaupt wird über Form viel zu wenig nachgedacht (was auch für Rezensenten gilt): Auch deswegen bin ich froh, dass Monika Rinck dabei ist. Viel in der Literatur der Jüngeren ist schon zufrieden mit der Arbeit, wenn die angesagten Themen behandelt werden. Da ist in der Regel die Presse überlegen.
Klaus Seufer-Wasserthal: Eine große Chance für sehr gegenwärtige Bezüge gibt es in der Kinder- und Jugendliteratur, hier können familiäre, gesellschaftliche und viele andere Themen sehr aktuell Kindern nahe gebracht werden. Christine Nöstlinger ist hier ein Beispiel, aber auch unser heuriger Gast Fredrik Vahle verhandelt viel von diesen Dingen in seinen Liedern.

Kann Kunst eine Antwort auf Problemstellungen der Gegenwart geben?
Gürtler
: Ich glaube, dass Kunst die Aufgabe hat, gesellschaftliche Veränderungen kritisch zu beobachten und Fragen zu stellen, wo die Ideologien Antworten geben, oft sehr verkürzt und vereinfacht. Möglicherweise erwarten Leserinnen und Leser Antworten, aber die Literatur ist nicht dazu da, Lösungen anzubieten, sondern kann Möglichkeiten aufzeigen, sie kann irritieren und verunsichern, zum Nachdenken anregen. Literatur stellt also Fragen, wo Politiker, Demagogen, Religionen etc. Antworten geben.
Jung: Ja, so ist es.
Seufer-Wasserthal: Ja, Fragen stellen. Nicht nur einmal, immer wieder... und somit auch die vermeintlichen Antworten immer wieder in Frage stellen.

Welche Tendenzen stellen Sie in der heutigen deutschsprachigen Literatur fest: Ist sie denn überhaupt gegenwärtig?
Jung
: Autoren sind ja nicht zuletzt auch Leute, die sich Zeit nehmen, Freude am Nachdenken haben, sich gern einmischen, meinungsfroh sind. Das heißt, sie reagieren gern auf morgendliche Zeitungslektüre und die Abendnachrichten.
Gürtler: Ganz sicher reagieren Autorinnen und Autoren auf die Herausforderungen, aber eben ganz unterschiedlich. Lukas Bärfuss mischt sich ein, nicht nur am Theater und in Büchern, sondern auch in den Medien, Gila Lustiger schreibt über ihre Erschütterungen nach den Attentaten von Paris, Friederike Gösweiner thematisiert in ihrem Debüt ganz verhalten die prekären Lebensverhältnisse der Generation der Dreißigjährigen und Joachim Meyerhoff erzählt von den Rissen und Lücken in seiner eigenen Lebensgeschichte, um nur einige Gäste des Literaturfests zu erwähnen.
Seufer-Wasserthal: ... und so wird auch in den guten historischen Romanen wie im neuen Buch von Dževad Karahasan sehr Gegenwärtiges verhandelt.

Wenn man Gegenwärtigkeit als unmittelbare Reflexion auf zeitgenössische Prozesse und Probleme versteht – können Texte in Buchform überhaupt mit neuen Medien in ihrer Aktualität überhaupt mithalten?
Jung
: Was Aktualität angeht, sind die Medien immer schneller. Dafür denkt die Literatur länger nach. Das macht sie ja so nachhaltig und wertig.
Gürtler: Ich glaube, Literatur steht nicht in Konkurrenz zur Aktualität der Medien. Künstlerische Gestaltung braucht immer Zeit und tut gut daran, sich der Tagesaktualität zu verweigern. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die in Glossen oder Essays ganz aktuell in den Medien reagieren und sich dennoch Zeit nehmen für ihre Romane. Wie etwa Juli Zeh, die angibt, an ihrem Roman „Unterleuten“ zehn Jahre gearbeitet zu haben.

Elfriede Jelinek hingegen gehört zu den Autorinnen, die in ihren Theaterstücken, aber auch in Texten in Zeitungen und im Internet schnell reagiert auf die Verwerfungen der Gegenwart. Und wieder anders reagiert Teresa Präauer sowohl bildnerisch wie sprachlich auf gesellschaftliche Prozesse – lassen Sie sich also überraschen von der gegenwärtigen Literaturszene!

Der Kunst als Antwort auf die Gegenwart wird beim Literaturfest am Donnerstag (19.5.) nachgegangen: Der Schweizer Dramatiker, Romancier und Essayist Lukas Bärfuss stellt in seinem temporeichen Roman „Hagard“ anhand der Geschichte eines Verfolgers, der selbst vor etwas zu fliehen scheint, Fragen nach der Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert. Die in Paris lebende deutsche Schriftstellerin Gila Lustiger sucht in ihrem Essay „Erschütterung. Über den Terror“ dem erlebten Anschlägen des Jahres 2015 mit Vernunft zu begegnen und verteidigt vehement europäische Werte.

Bärfuss und Listiger werden im Anschluss an ihre Lesungen mit Günter Kaindlstorfer vom ORF und Bettina Hering, Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele ab 2017, über die Gegenwärtigkeit der zeitgenössischen Literatur diskutieren. (LFS)

Eröffnet wird das neunte Literaturfest Salzburg am Mittwoch (18.5.) im 19.30 in der Großen Aula www.literaturfest-salzburg.at
Bilder: Literaturfest/

 

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