Erzählt wird, was erzählt werden muss
RAURISER LITERATURTAGE / ERÖFFNUNG / RAURIS UNIVERSITÄT
30/03/17 Einsamkeit und Fremdheit sind Konstanten in Senthuran Varatharajahs Schreiben. Fulminant begannen die Rauriser Literaturtage mit der Lesung des Rauris-Preisträgers 2017. Den Förderungspreis 2017 zum Thema „Unter die Haut erhielt Mercedes Spannagel.
Von Kira Sophie Müller und Judith Ralser
„Körper.Sprache“. Sprache und Körper. Körpersprache. Sprachkörper. Was lässt sich unter Sprache, was unter Körper verstehen? Wie können sie sich verbinden, wo stoßen sie einander ab? Manfred Mittermayer und Ines Schütz, Intendanten der Rauriser Literaturtage, bieten bei der Eröffnung der Rauriser Literaturtage am Mittwoch (29.3.) einen Einblick in die Themenvielfalt hinter den Begriffen. Ob Schönheit und Lust, Körper und Gesellschaft, Krankheit und Tod: Nicht nur der ideale Körper und dessen Funktionsweisen werden propagiert, sondern auch Unvollkommenheit, Scheitern und die an Grenzen stoßende eigene Wahrnehmung dieses Körpers werden in den Mittelpunkt gestellt.
Der Bedeutung von Sprache in Verbindung mit „Nähe und Körper, Ferne und Geist“, wie Gesa Schneider es in ihrer Laudatio auf den Preisträger beschreibt, thematisiere Senthuran Varatharajah in seinem Romandebüt „Vor der Zunahme der Zeichen“. Für dieses wurde er mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet, der traditionell dem herausragendsten deutschsprachigen Prosa-Erstling des Jahres zugesprochen wird.
Ob wir uns schon einmal begegnet sein könnten? So beginnt der Dialog zwischen Senthil und Valmira, Flüchtlinge, der eine aus Sri Lanka, die andere aus dem Kosovo, in dem sie sich über ihre Erfahrungen vom Ankommen in einer neuen Gesellschaft, Kultur und Sprache austauschen. Themen sind Flucht, Tod und Sprache, aber auch ihre Leidenschaft für Philosophie, Kunst und Musik. Der Dialog ist jedoch kein Dialog im klassischen Sinn. Zwischen den Protagonisten entsteht ein Vertrauen, das Erfahrungen und Geschichten unkommentiert und nachfragelos Raum bietet. Erzählt wird, was erzählt werden will und muss. Dabei werden eigene Grenzen ausgelotet und die des Anderen respektiert.
Unaufgeregt und doch pathetisch. Als Senthuran Varatharajah die Bühne betritt, hat er keinen Blick fürs Publikum. Mit leiser Stimme beginnt eine Lesung, die das überrumpelte Publikum in plötzliches Schweigen verfallen lässt. Der Vortrag wie der Dialog im Buch: sachlich, ohne künstlicher Emotionalität. Ein Kontrast zur vorausgehenden Einleitung aus Musik, Lobreden und Preisverleihungen mit Händeschütteln und Fotosession. Vielleicht ist es gerade diese Sachlichkeit, die das Publikum so anspricht und berührt.
Welche Stimmung Senthuran Varatharajah auslösen kann, zeigt sich auch heute Donerstag (30.3.) vormittags beim Gespräch mit den Studierenden der Universität Salzburg. Seine Ausführungen werden immer wieder unterbrochen: Zwischenapplaus, Lachen, zustimmende Gesten und nachdenkliche Mienen. So wie er schon in seiner Lesung durch Veränderungen der Synchronität, Umformulierungen und Wortanpassungen seinem Text eine vom Buch abweichende Dimension gegeben hat, so bietet auch das Gespräch neue Facetten, Verbindungen, Gedanken und Ideen. Traum eines Gesprächs, Orte von biblischem Ausmaß, Erschöpfungsgeschichte. Und immer wieder: die Philosophie, die Bibel. Aspekte mit Bedeutung für Varatharajahs Schreiben.
„Die Rauriser Literaturtage gehören zu den bedeutendsten Festivals der Gegenwartsliteratur im deutschen Sprachraum. Ihre besondere Stellung verdanken sie der einzigartigen Begegnung zwischen dem Gebirgsort Rauris und seiner Bevölkerung und dem zeitgenössischen Literaturbetrieb aus Schreibenden, Kritikern, Verlegern, Literaturwissenschaftlern, Germanisten und dem an Literatur interessierten Publikum aus nah und fern“, sagte Landeshauptmann Wilfried Haslauer bei der Eröffnung der 47. Rauriser Literaturtage im Gasthof Grimming. Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn überreichte die Preise und betonte, „ür viele Autorinnen und Autoren waren und sind diese Auszeichnungen eine wichtige Station auf ihrem literarischen Erfolgsweg“. Der Förderungspreis 2017 wurde zum Thema „Unter die Haut vergeben und ging an die 21-jährige Mercedes Spannagel.