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Angst vor einer scharfen Kritikerin

LESEPROBE / SCHILLERNDES LEBEN

17/06/16 Schillerndes Leben in Salzburg: Am Platzl ist die Pyramide für Ruth Jungk (1913–1995), die Ehefrau des Zukunftsforschers und Philosophen Robert Jungk, aufgestellt. Werner Thuswaldner hat den Essay über sie verfasst, von der er schreibt, die sei „ein bisschen gefürchtet“ gewesen, weil sie „mit dem Blick von außen scharfe Urteile über manche Salzburger und Salzburgerinnen fällte. Kaum einmal lag sie damit daneben.“

Von Werner Thuswaldner

Das geistige Klima in Salzburg in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts versprach das Ende einer langen Zeit der Lähmung. So kam es mir vor. Es herrschte Aufbruchsstimmung. Neue Initiativen kamen in Schwung, in der Stadt und auf dem Land wurden mehrere Kulturzentren gegründet. Die politische Führung war entschlossen, Zeichen zu setzen. Teile der Universität gaben den Elfenturm auf und mischten sich in das Kulturleben ein. Mein Studium damals sehe ich im Rückblick als eine überaus ergiebige Phase, vor allem auf Grund anregender Lehrer in den Disziplinen Germanistik, Geschichte und Sprachwissenschaft. Ein angenehm weiter Horizont, Interdisziplinarität und die engagierte Teilhabe am kulturellen Leben außerhalb der Universität waren auffällige Merkmale. Die Annahme allerdings, dass in anderen Fächern ein ähnliches Niveau und ähnliche Lebendigkeit üblich sein würde, beruhte, wie mein Besuch bei anderen Lehrveranstaltungen ergab, auf reinem Irrtum. Vielfach hatten auf schnellem Weg zu Universitätsprofessoren mutierte Mittelschullehrer das Sagen.

Das war die Zeit, als der Zukunftsforscher Robert Jungk mit seiner Familie nach Salzburg kam. Er, seine Frau Ruth und der Sohn Peter Stephan, der gerade seine Gymnasialjahre abschloss, wurden nicht als krasse Außenseiter gesehen. (...)

Man darf sich nicht vorstellen, dass sich Ruth Jungk mit der Rolle einer Bewunderin ihres Mannes begnügte. Sie war selbstbewusst und gescheit genug, um als eigenständige Persönlichkeit durchs Leben zu gehen. Das hatte mit ihrer Herkunft zu tun. Eine wienerische Färbung in ihrer Sprechweise war nicht zu überhören. Sie sprach nicht etwa Dialekt, ließ aber hie und da umgangssprachliche Floskeln miteinfließen. Sie war ja wirklich Wienerin, kannte aber einiges mehr von der Welt als bloß Wien.

Für jemand, der von außen kommt, ist es ja nicht gerade einfach, in die Salzburger Gesellschaft hineinzukommen. Die Repräsentanten dieser Gesellschaft sind gern unter sich und wollen ungestört bleiben. Man stammt am besten aus einer Kaufmannsfamilie, deren Nachkommen es zu Rechtsanwälten und Ärzten gebracht haben. Zum Beweis für seine eigene Aufgeschlossenheit, arbeitet man nebenberuflich in einer Kulturinstitution mit, am besten als „Präsident“. Aber auch in einer Position, zu der einem die Kirche verholfen hat, fährt man, wie viele lebende Beispiele zeigen, gut. Nach Kompetenz wird nicht so genau gefragt. Das war vor vierzig oder fünfzig Jahren noch ausgeprägter als heutzutage. Kaum jemand kriegte einen Fuß auf die Erde, der nicht Teil dieser engmaschigen Netzwerke war.

Ruth Jungk, die kein bisschen kontaktscheu war, fand problemlos Gesprächspartner unter jüngeren Leuten, die, selbst mehr oder weniger unangepasst, ähnlich wie sie einen kritischen Blick auf die Gesellschaft hatten. Michael Stolhofer gehörte dazu, Markus Hinterhäuser und andere. Hofrat Peter Krön, der oberste Kulturbeamte des Landes, hatte immer ein Ohr für die Familie Jungk und kümmerte sich, wenn es Probleme gab. Ich war in ihrer Gesellschaft auch als Ansprechpartner gelitten. In der Art, wie sie Kritik äußerte – und Kritik zu äußern, war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen -, verfuhr sie nicht, wie das in ihrer Heimatstadt Wien zu geschehen pflegt, nämlich auf Umwegen, indirekt und in eine Fülle vermeintlicher Höflichkeitsfloskeln verpackt. Ihre Kritik klang gnadenlos unverblümt, zuweilen vernichtend. Sie sah genau, wo Anspruch und Wirklichkeit nicht übereinstimmten. „Erfrischend“ war diese Kritik auf alle Fälle. „Unerschrocken“ konnte man sie auch nennen. Wer sich aufblähte und sein Pöstchen nur irgendwelchen Mauscheleien zu verdanken hatte, im Grunde aber nur über geringe Fähigkeiten verfügte, wurde gnadenlos auf ein Millimetermaß zurückgestutzt und die weit verbreitete Selbstüberschätzung eingedämmt. Protektionsfälle wurden in aller Deutlichkeit als solche benannt.

Oft lief man ihr in der Stadt über den Weg. Diese Begegnungen arteten jedes Mal in ein längeres Gespräch aus. Es war ein Austausch von Meinungen. Nach der Reihe wurden Leute, die sich gerade besonders hervortaten, besprochen, mehr als das: bewertet. Die Übereinstimmung in den Urteilen, meist weit abweichend von den gängigen Einschätzungen, war jeweils auffällig groß. Das waren kleine Gerichtsverfahren. Ruth Jungk benützte die Gespräche – das ging unterschwellig vor sich – auch dazu, um Informationen, gleichsam Beweismaterial gegen den einen oder die andere zu sammeln.

Die persönlichen Begegnungen mit ihr waren das eine, die Telefonate das andere. Kaum jemand anderer hat das Telefon so intensiv wie sie als Kommunikationsmöglichkeit genützt. Das war übrigens damals noch nicht so preisgünstig wie heute. Mit ihrer unverkennbaren Altstimme nannte sie ihren Namen. Oft war der Anrufbeantworter zu Hause, wenn ich abends heimkam, komplett voll mit einem Monolog von Ruth Jungk. Das ging ja noch an. Aber wenn sie mich in der Redaktion anrief, war es heikler. Denn das waren Anrufe, die sich von meiner Seite nicht auf kurze Antworten auf ein paar Fragen beschränken ließen. Ruth Jungk ließ sich nicht einfach aus der Leitung drängen, sie wollte jeweils ein ausführliches Gespräch. Jeden Versuch, sie abzuschütteln, hätte sie als Affront verstanden. (...)

Der vollständige Essay zu Ruth Jungk von Werner Thuswaldner auf der Homepage zur Schau „Schillerndes Leben in Salzburg“ http://schillerndesleben.net
Das Buch zur Ausstellung ist erschienen bei „Tartin Editionen“ (200 Seiten, 20 Euro), erhältlich in Salzburger Buchhandlungen oder bei Tartin Editionen, Uferstraße 8, 5026 Salzburg
Über die Ausstellung "Schillerndes Leben in Salzburg":
Erinnerungen an eine alternative Zukunft

 

 

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