Abwärts
BUCHBESPRECHUNG / KOCH / NETTE LEUTE MIT HUNDEN
09/04/19 Abwärts geht es in Alfred Hitchcocks gleichnamigem Stummfilm mit dem Helden. Ihn rettet knapp vor dem Untergang ein Geständnis aus der psychischen und sozialen Abwärts-Spirale. 92 Jahre später schickt Manfred Koch seinen Helden von einem vorläufigen Tiefpunkt aus „abwärts“ in den wahren Abgrund.
Von Heidemarie Klabacher
Arbeit weg, Freundin weg, Wohnung weg. Alles weg. Bis auf die alptraumhaften Erinnerungen – misshandelt hat der Vater die Mutter ganz sicher, wahrscheinlich auch ermordet, retten konnte das Kind die Mutter jedenfalls nicht – an eine schuldbeladene Kindheit. Schlimmer kann es nicht mehr kommen... Da taucht Robert auf, der einzige Freund aus tristen Internatszeiten, und stellt als Retter in der Not David für ein Jahr sein Haus zur Verfügung.
Die Assoziation mit dem frühen (tatsächlich noch gar nicht besonderes genialen) Hitchcock-Film Abwärts kommt erstens über die „Farbe“ zustande, ein schmutziges Grau, das mit immer weiteren Schattierungen der Trostlosigkeit triumphiert, und zweitens über das Motiv der „Männerfreundschaft“ (die Rolle der Mutter als einzigem Lichtblick wäre ein verbindendes Motiv, aber Roddys Mutter im Film passiert nichts). Was freilich anno 1927 im Film ein simples linear erzähltes Auf und Ab ergab, verzweigt sich 92 Jahre später im Buch in ein psycho-pathologisches Dickicht: Meisterhaft, wie Manfred Koch seinen Helden sich in diesem Dickicht von Schuldgefühl (Mutter nicht gerettet), Hass (Vater so fies wie eh und eh vegetiert noch im Rollstuhl dahin) und Angst (alle Frauen könnten das Schicksal seiner Mutter erleiden und er könnte bei der Rettung erneut versagen) verstricken lässt.
Kopfschüttelnd begleitet man David von einer Zwangshandlung zur ironisch übersteigert geschilderten nächsten Wahnsinnsaktion, geradezu verärgert schaut man zu, wie er mit seiner zwanghaften Beobachterei und Einmischerei die Nachbarinnen – besagte Nette Leute mit Hunden – und dann auch bald die Polizei auf den Plan ruft. Aber die Hilferufe einer Frau am Telefon! Und wer zum Teufel ist Glotzauge?
Dass der Hundephobiker im „Abschlachten“ von Zier-Kürbissen aus Roberts vergammelten Gartenhaus Entlastung findet, trägt nicht zur Beruhigung bei, wohl aber zu einer weiteren ironisch anmutenden Distanzierung mittels übersteigertem Spiel mit Splasher-Motiven: „Vielleicht würden meine Feinde ja im Schutz der Nacht angreifen, also musste ich mich im nächtlichen Kampf üben. Und wieder traf jeder Schlag. Wieder erlebte ich, wie sich Schale in Schädelknochen und Fruchtfleisch in Hirnmasse verwandelte. Und wieder fühlte es sich verdammt gut an.“
Psychologisch subtil ist die oft fugenlos innerhalb von Ab- oder gar Halbsätzen gelingende Verknüpfung der Traumata der Vergangenheit mit den realen oder eingebildeten Ereignissen der Gegenwart. Weit zurück in die Vergangenheit reichen die Erinnerungsfäden, aus denen in der Gegenwart raffiniert geknüpfte und perfekt getarnt ausgelegte Fallstricke werden.
Tolles Buch, das nur eine Frage offen lässt: Wie kann man eine Schwarzwälder-Kirsch-Torte als Packerl schicken, ohne dass lauter Gatsch ankommt?
Manfred Koch: Nette Leute mit Hunden. Roman. Gmeiner Verlag, Meßkirch 2019. 312 Seiten, 15 Euro - auch zum Download als ePub und pdf-Datei - www.gmeiner-verlag.de
Manfred Koch liest heute Dienstag (9.4.) um 19.30 in der Rupertus Buchhandlung in einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Literaturhaus Salzburg aus Nette Leute mit Hunden - www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: Gmeiner Verlag/privat