Eine Kindheit in Ungewissheit
BUCHBESPRECHUNG / PLUHAR / ANNA
22/01/19 Lebensbericht, Beichte, Selbstanklange, Biographie: Mit Anna hat Burgschauspielerin Erika Pluhar ihrer früh verstorbenen Tochter ein Denkmal gesetzt und beeindruckt mit berührender, schonungsloser Ehrlichkeit.
VON VERENA RESCH
Kurz vor ihrem 80. Geburtstag hat Erika Pluhar mit Anna wohl ihr persönlichstes Buch vorgelegt. Anna ist eine Biographie, erzählt jedoch nicht aus der eigenen Perspektive, sondern aus der Sicht von Tochter Anna. Unglaublich feinfühlig wird hier aus Kindersicht eine ungewöhnliche Kindheit geschildert: Die Mutter eine aufstrebende junge Schauspielerin auf dem Weg nach oben, der kaum anwesende Vater ein Designer und Geschäftsmann mit immer neuen Investitionsplänen – es ist klar, dass diese Eltern nicht viel Zeit für ihre Tochter haben.
Als es zur endgültigen Trennung und Scheidung der Eltern kommt, gerät die Kinderwelt noch heftiger ins Wanken. Umzüge und wechselnde Partner der Mutter lassen keine Stabilität im Leben der Tochter aufkommen. In ihr wachsen die Sehnsucht danach, liebevoll umsorgt zu werden, sowie die Angst, wieder in eine unbekannte, fremde Umgebung gestoßen zu werden.
Einfühlsam wird auch die schwierige Beziehung der Tochter zu ihrem Vater geschildert. Sie spürt, dass „etwas in ihrem Wesen, ihrem Charakterbild zum Vater gehört“. Gleichzeitig belastet dessen Alkoholkrankheit das Kind, das sich trotz der Liebe, die es für den Vater empfindet, zunehmend für ihn schämt und ihn fürchtet.
Das Buch zeichnet sich durch einen unglaublich ergreifenden Schreibstil aus, der von der ersten Seite an fesselt und es ermöglicht, sich so gut in das Kind einzufühlen, wie es nur selten gelingt. Mit großem Feingefühl erzählt Erika Pluhar von einem sensiblen Mädchen, das die sich immer wieder anbahnenden Veränderungen spürt. Früh lernt es, die Gesten und Blicke der Erwachsenen zu beobachten und richtig zu deuten. Obwohl es immer schon versteht, dass eine familiäre Gemeinsamkeit der Eltern unmöglich ist, schlummert auch in ihm der Wunsch eines jeden Kindes, dass Mutter und Vater ein Paar wären.
Schonungslos ehrlich und selbstkritisch erzählt Erika Pluhar von der Mutter, die, obwohl für ihre gefühlvollen Darbietungen gepriesen, der Tochter gegenüber ihre Liebe nicht so zeigen kann, wie beide es sich wünschen würden. Als das Kind von wiederkehrenden Asthmaanfällen – dem „Onkel“ – heimgesucht wird, sind es oft nur die wechselnden Stiefväter, die die Hilferufe des Kindes hören. Hier wird die Biographie zur Selbstanklage einer Mutter, die weiß, dass der letzte Ruf des Kindes sie nicht erreichen wird.