Eine Mater Dolorosa weint noch im Geheimen
HINTERGRUND / RAUBKUNST / SCHLOSS FISCHHORN
01/10/15 Alle paar Jahre kommt das Schloss Fischhorn im Pinzgau als Kunst-Hort in der Zeit des Nationalsozialismus in die Schlagzeilen. Einer (sehr gewagten) Theorie nach könnte dort sogar immer noch das legendäre „Bernsteinzimmer“ verborgen sein. Eine Ausstellung in Zell am See zeigt konkretere Dinge.
Von Reinhard Kriechbaum
Der „goldene Zug“, nach welchen in Polen in der Region um Wałbrzych in Niederschlesien gesucht wird, sorgt derzeit für weltweites Medieninteresse. Im Inneren der gepanzerten Zugwaggons sollen sich Schätze aus Wrocław befinden, welche durch die Nazis am Ende des Zweiten Weltkrieges verborgen worden sein sollen.
In der Fotoschau, die morgen Montag (5.10.) in Zell am See eröffnet wird, geht es um bereits gefundene Dinge. Um den Inhalt jener zwölf Waggons eines Zugs, der am 16. April 1946 von Salzburg nach Warschau fuhr. Es waren Schätze polnischer Könige, wertvolle Skulpturen, Gemälde, Dokumente und Bücher, die von deutschen Nazis in Polen geraubt worden waren.
Doch wie waren diese Dinge ins Schloss Fischhorn, diesen Ansitz an der Gemeindegrenze zwischen Bruck an der Glocknerstraße und Zell am See gekommen? Gleich in den ersten Wochen der Besetzung Polens begannen deutsche Offiziere planmäßig und gut organisiert, öffentliche, kirchliche und private polnische Kulturgüter zu konfiszieren. Die Requirierungen erfolgten durch eine eigens dafür berufene Kommission, die die geraubten Kunstwerke in eigens vorbereitete Räume, hauptsächlich in Warschau, Krakau, Breslau und Danzig, verbringen ließ. „Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkrieges aus Polen ca. 22 Millionen Bücher und 516.000 katalogisierte Kunstwerke geraubt“, heißt es in einem Text der Polnischen Botschaft in Wien.
Im Herbst des Jahres 1944 wurde es eng für die Besatzer. Die Ostfront rückte näher und der Warschauer Aufstand war in vollem Gange. So wurden die Kunstschätze eilends an sichere Orte in Bayern, Sachsen, Thüringen und Österreich transportiert. Einer dieser Orte war das Schloss Fischhorn im Salzburger Land. Allein aus Warschau kamen 41 Kisten mit Raubkunst dorthin.
Nach Kriegsende, am 5. Oktober 1945, erhielt der polnische Offizier und Maler Bohdan Urbanowicz, der selbst aus dem KZ in Murnau am Staffelsee befreit worden war, die Erlaubnis des amerikanischen Militärs, auf Schloss Fischhorn geraubte polnische Kulturschätze zu identifizieren sowie diese zum Transport nach Warschau vorzubereiten. Das war also vor siebzig Jahren - deshalb nun die Ausstellung in Zell am See.
Es sei, so wird betont, eine noch nicht abgeschlossene Geschichte. Immer wieder tauchen Dinge auf, die hier gelagert waren. Schlagzeilen machte etwa im Jahr 2007 der Fund einer Bewohnerin von Zell am See. Sie hatte in einem Sperrmüllcontainer ein Prozessionskreuz aus dem 12. Jahrhundert, eine Emaillearbeit aus Limoges, entdeckt. Das war schon 2004, aber es dauerte ein paar Jahre, bis einem Nachbarn das Ding verdächtig vorkam und man es schließlich als Stück aus dem Raubkunst-Bestand identifizierte.
„Ebenfalls in der Gegend von Zell am See wurden rund achtzig Grafiken und Zeichnungen von Ignacy Łopieński und Albert Schouppé aufgefunden“, weiß man bei der Polnischen Botschaft. Um diesen im Jänner 2014 zurückerstatteten Kunstbestand, der nach dem Krieg ebenfalls in privaten Besitz war, wurde weit weniger Wind gemacht. In dem Buch „Im Schatten der Mozartkugel – Reiseführer durch die braune Topografie von Salzburg“ schreibt die Salzburger Kunsthistorikerin und Provenienzforschung Susanne Rolinek: „Im Chaos während des Zusammenbruchs des Dritten Reichs hatten NS-Funktionäre und die einheimische Bevölkerung im ganzen Land Lebensmittellager und Depots mit wertvollen Kunstwerken geplündert.“
So geschah es also, dass man nach dem Krieg in einem Forsthaus bei Kaprun einen Silbertisch aus dem Warschauer Belvedere aufstöberte. Auch die Amerikaner waren Kunst-Wegschaffer: Bei in die Heimat zurückkehrenden Soldaten wurde beispielsweise eine Waffensammlung aus Säbeln, Schwertern und Pistolen konfisziert.
So erklärt sich also, dass manche Stücke, die zuletzt auf Schloss Fischhorn gelagert wurden, Jahre nach Kriegsende auf Kunstauktionen in den USA auftauchten, wohin diese zusammen mit den zurückkehrenden US-Truppen gelangt waren.Auch aus Südamerika gelangte Raubkunst nach Polen zurück.
So manches, was nachweislich im Schloss Fischhorn war, ist freilich bis heute verschollen: Die polnische Botschaft hat dazu einen Folder aufgelegt. Einige der Kunstwerke sind auf dieser Seite abgebildet: etwa eine Mater Dolorosa von Dirk Bouts dem Älteren aus dem 15. Jahrhundert und Frauenbildnisse von François Clouet aus dem 16. Jahrhundert. Auch zwei tolle Stücke aus Limoges gehen noch ab: ein Wappenmedaillon und ein Kastenreliquiar mit Szenen aus dem Martyrium des Thomas von Canterbury, beide aus dem 13. Jahrhundert.
Das bei weitem prominenteste vermisste Bild aus Polen, das im Zuge der Besetzung durch die Nazis verschwand, war aber wohl nicht im Pinzgau: Es ist Raphaels „Porträt eines jungen Mannes“ aus dem Jahr 1513. Hans Frank, der Generalgouverneur für die besetzten Teile Polens, hatte es in seinem Amtssitz aufgehängt, dem Königsschloss auf dem Krakauer Wawel.