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Die Lust am Widerspruch

JAZZFESTIVAL SAALFELDEN

26/08/18 Es ist so etwas wie das Rezept des Jazzfestivals Saalfelden: Es wird zusammengeführt, was bisher nicht zusammengehörte – und auf eine kreative Fusion gehofft. Ungewohnt ist, wenn das schon bei der Eröffnungsrede beherzigt wird.

Von Christoph Irrgeher

Heinrich Schellhorn, stellvertretender Landeshauptmann, überraschte am Freitag (24.8.) mit einem Vergleich. Er habe sich sagen lassen, so der Salzburger Grün-Politiker, dass das Jazzfestival Saalfelden in einer Scheune begonnen habe. Ein segensreicher Geburtsort, findet Schellhorn: Es habe ja auch das Christentum in einer Scheune seinen Anfang genommen, und das habe es bis heute auf eine Laufzeit von rund 2000 Jahren gebracht. Applaus, Gelächter, auch ein wenig Raunen im Saalfeldner Kongresshaus. Schließlich greift Brigitta Pallauf, Salzburger Landtagspräsidentin (ÖVP), den Ball elegant-verschmitzt auf. Sie würdigt den Frohsinn des Kollegen, versetzt ihm aber auch einen Dämpfer: „Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.“

Gehinkt hat nach diesem Beginn leider auch das Eröffnungskonzert – oder besser gesagt: es hat sich sehr unglücklich zwischen die Stühle gesetzt. Ulrich Drechsler hat heuer den Kompositionsauftrag des Festivals erhalten. Der 49-Jährige, das muss man betonen, besitzt als Saxofonist und Bass-Klarinettist einen ungeheuren Effektsinn. Keiner hat die Club-Beats der Nuller Jahre in so tanzfreudigen Akustik-Jazz übersetzt wie sein Trio Café Drechsler. Sein achtköpfig besetztes und mit einem Operationsgebiet von Weltmusik, Elektronik, Jazz, Klassik und Pop auch inhaltlich breit aufgestelltes Projekt „Liminal Zone“ ist nun aber vor allem eines – ein Problem.

Stimmt zwar: Die Musik sucht mitunter kühn nach stilistischen Widersprüchen, findet hier und da zu atmosphärischen Momenten. Sie bedient sich aber aus einem Baukasten der Klangstile, der die hiesigen Hörer unterfordert. Pianist Simon Raab ergeht sich in Dreiklangszerlegungen, wie sie in den Klangtapeten des Minimal-Musikers Philip Glass serienmäßig auftauchen; die Sopran-Vokalisen, gesungen von Özlem Bulut, erinnern weniger an „die Klassik“ als an den mondsüchtigen Enya-Pop. Die Balladengesänge der FM4-beliebten Clara Luzia wiederum künden vor allem vom bitteren Vogel Jugendlarmoyanz, und die Kundmachungen einer Slam-Poetry-Aktivistin („Was folgt, ist ein Für- und Gegengewicht / was bleibt, ich bewege mich“) sind ein sehr wortreiches Wollen. Das Positive: Drechsler garniert all dies mit eleganten Kantilenen. Soll diese Musikstunde dem Publikum Neuland eröffnen, müsste sie allerdings bei einem Popfestival erklingen.

Überhaupt sah der Saalfeldener Stammgast am Freitag wenig, was ihn aus den wetterbedingt dicken Socken gehaut hätte. Gewiss: Die selbsternannten „Freaks“ rund um Geigerich Théo Ceccaldi haben eine Musik der schnellen Schnitte inszeniert, zwischen Schnulze, Heavy-Metal und Free Jazz. Solche Extremcollagen hat man vor zwanzig Jahren von John Zorn aber schon zwingender gehört.

Ein ergrauter Charakterkopf beschert dem Freitagabend dann doch noch ein Highlight, nämlich der US-Amerikaner Marc Ribot. Der Altlinke mit der Avantgarde-Gitarre ist dank Donald Trump in der Protestform seines Lebens und ruft dem US-Präsident entsprechend harsche Schmähworte zu. Befeuert von Rumpelrhythmen (Schlagzeuger Nasheet Waits und Bassist Nick Dunston) und einem hantigen Saxofon (Jay Rodriguez), verlautet Ribot Protestlieder des Zweiten Weltkriegs und der amerikanischen Gegenwart. „When the world’s on fire, where will you run?“ heißt es da etwa verzagt, aber dann auch stinksauer: „Fuck La Migra!“ Gemeint ist jene US-Polizeitruppe, die an der Grenze zu Mexiko Wache hält und im Volksmund einen knappen Spitznamen erhalten hat.

Und natürlich: Es lastet kein Zwang zum Schönklang auf Ribot. Er singt nur selten, skandiert die Nummern nach der Manier eines Demo-Agitators, dessen wütende Gefolgschaft im Band-Gepolter zu hören ist. Dazu reißt Ribot – mal protestrockend, mal funky, mal freejazzig – an den Gitarre-Saiten, wie andere ein Hühnchen rupfen: ein Ereignis.

Mehr kräftige Töne dann noch am Samstag. Es ist der Vorwurf laut geworden, Saalfelden suche sein Heil zu sehr im europäischen Jazz, nable sich sträflich ab vom Mutterland Amerika. Nun: Ein paar Ikonen mehr auf der Hauptbühne, dazu die eine oder andere Schlüsselfigur aus Übersee stünden dem Festival nicht schlecht zu Gesicht. Ganz abgekoppelt hat sich der Konzertreigen aber nicht von der Jazz-Wiege, wie der Samstag mit gleich drei US-Beteiligungen bewies.

Elliott Sharp, Gitarrist und Advokat der Avantgarde, hat sich da mit der Französin Hélène Breschand zusammengetan. Die Frau mit dem Wallehaar zupft ihre Harfen so hingebungsvoll wie hanebüchen und sieht dabei aus wie die Gestalt eines David-Lynch-Films. Nur leider: Weil sie zu seltsamen Ausdrucksgesängen anhebt und dabei auf jede Nuance verzichtet, entsteht ein sehr heulbojiges Klangbild. Ebenfalls störrisch, aber viel geschmeidiger im Klang das Quintett rund um Free-Jazz-Veteran Joe McPhee: Der Mann mit dem Saxofon und der Pocket-Trompete folgt den Eingebungen des Augenblicks immer noch intensiv. Abwechslungsreich die US-Delegation mit Komponistin Nicole Mitchell. Sie leitet ein regenwaldbuntes Oktett mit Bewohnern wie Shakuhachi, Flöte, Oud, Violine und Theremin: Da entsteht bald eine nebulöse Weltmusik, bald eine Nähe zur Moderne von Olivier Messiaen, bald ein lyrisch gedämpfter Free Jazz, bald reißt ein Soulsänger das Heft an sich – eine Artenvielfalt, die überrascht.

Am eindringlichsten aber vielleicht eine Europäerin, nämlich die Slowenin Kaja Draksler mit ihrem Trio. Keine Frage: Die Frau mit dem Faible für Neue Musik und einem seltsamen Bandnamen (ihr Trio heißt Punkt.vrt.Plastik) ist das Gegenstück zu einer Cocktailpianistin; Draksler verdeutlicht das nicht zuletzt in jener störrischen Minute, in der sie in einem fort auf eine kleine Sekund im Diskant einhaut. Und doch: Unter den Klanggestöbern, unter den Wellen der Polyrhythmen machen sich phantomhafte Melodien bemerkbar – Themen, die wie angedeutet wirken und der Musik Substanz und Poesie verleihen. Es ist ein seltsamer Sog, den die Musik dieser 31-Jährigen ausübt.

Ganz handfest das Finale: Bassist Lukas Kranzelbinder, trotz seiner 30 Jahre schon ein ausgebuffter Zeremonienmeister, macht den Sack mit seiner Formation Shake Stew zu. Da ist alles auf Überwältigung eingestellt und trifft auch ins Applaus-Schwarze: Bestückt mit zwei Schlagzeugern und Kontrabässen, einem erstklassigen Bläseraufgebot – darunter die Wirbelwinde Mario Rom und Clemens Salesny sowie Schnellfeuer-Saxofonist Shabaka Hutchings als Gaststar – feiern rollende Grooves und Afrobeat-Ekstasen Hochzeit: frenetischer Jubel.

DrehPunktKultur-Gastautor Christoph Irrgeher ist Kulturredakteur der Wiener Zeitung

Das Jazzfestival Saalfelden geht heute Sonntag (26.8.) zu Ende – www.jazzsaalfelden.com
Bilder: Jazzfestival Saalfelden / Matthias Heschl, Helene Breschaud, Michael Geißler

 

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