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Faulige Zeiten sind das!

DIAGONALE / GRAZ / DER TRAFIKANT

20/03/19 Wahrscheinlich ist es nicht der beste Start in die Großstadt (und ins Wien unmittelbar vor dem Anschluss), wenn einem als erstes eine alte Frau in der Gestalt Erni Mangolds auf dem Bahnsteig entgegen kommt. Gestank? „Das ist nicht der Kanal, das sind die Zeiten“, sagt sie. „Faulige Zeiten sind das!“

Von Reinhard Kriechbaum

Der 17jährige Franz (Simon Morzé) bekommt es glücklicherweise auch mit anderen Gerüchen und mit ganz wundervollen Menschen zu tun, als Trafikantenlehrling des Herrn Otto Trsnjek (Johannes Krisch). Da ist eine der ersten Lektionen jene über Zigarren: „Schlechte Zigarren schmecken nach Pferdemist, gute schmecken nach Tabak, exquisite aber nach – Welt.“

Die Welt kann man kennen lernen in der Trafik. Man bekommt da so gut wie alle Zeitungen (aber nicht jene der dräuenden Machthaber). Und es geht interessante Kundschaft ein und aus, deklarierte linke Widerständler. Vor allem aber holt sich Sigmund Freud- in einer seiner letzten Rollen: Bruno Ganz - seine Neue Freie Presse und zwei Schachteln Zigarren. Der Nachbar, Fleischhauer, heißt übrigens nicht Bockerer, aber er ist ganz vorne dran als Mitläufer und Denunziant.

All das könnte das Setting für einen konventionellen Historienschinken sein. Aber Regisseur Nikolaus Leytner, der seinen Film Der Trafikant auf einen Bestseller von Robert Seethaler aufgesetzt hat, weiß die Geschichte detailreich historisch, aber auch poetisch und mit einiger Ironie zu erzählen.

Da leidet der junge Lehrling an der unglücklichen Liebe zu einem böhmischen Mädchen, das sich mit Männergeschichten über Wasser hält, und da ist der Rat des Professor Freud mehr als willkommen, der zu Liebe ja einiges zu sagen hat. „Man muss das Wasser nicht verstehen, um hinein zu springen.“

Da sind viele treffsichere Pointen, und manches kommt auch mit feinem Florett daher. Freuds Vorschlag an seinen „jungen Freund“ etwa lautet, Träume in einem bereit liegenden Notizbuch augenblicklich zu notieren. Das gab dem Filmemacher die Option zu einer weiteren Eben mit poesievollen Unterwasser-Phantasmen, die surreal die liebevoll-zeitstimmig in Szene gesetzten realen Bilder (Kompliment dem Ausstatter-Team!) brechen.

Zwischen Böhmischem Prater und Traumwelten also, mit harten Bruchlandungen in einer Zeit, da das Geschäft des deklariert sozialdemokratischen Trafikanten rasch verwüstet ist. Er wird seine Einstellung mit dem Leben bezahlen.

Gefährdeter gesellschaftlicher Zusammenhalt, Mangel an Zivilcourage, Mangel an Respekt vor anderen Meinungen. „Selbstverständlich ist heute überhaupt nichts“, sagt der weise Freud. Das sind natürlich Statements, die für heute gelten, und darum ist dieser Film, der im Oktober vorigen Jahres in die Kinos gekommen ist, ein nicht unwichtiger Beitrag im Spielfilm-Wettbewerb der „Diagonale“. Und obendrein: ein grandioser Schauspieler-Film.

Die Diagonale, das Festival des österreichischen Films in Graz, dauert bis 24. März – www.diagonale.at
Bilder: Tobis

 

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