Vom besseren und schlechteren Leben
DIAGONALE / SALZBURGER BEITRÄGE
27/03/23 Auf die Diagonale-Siegerliste haben es diesmal keine Salzburger Filmemacher und Filmemacherinnen gebracht. Einige Lebenszeichen des Salzburger Films gab's doch. Man hätte sich zum Beispiel den Dokumentarfilm Stams von Bernhard Braunstein durchaus auf einem Platz ganz vorne vorstellen können.
Von Reinhard Kriechbaum
Drei Dokumentarfilme heimischer Provenienz: Über die Uraufführung von Marko Doringers Dein Leben – Mein Leben haben wir berichtet. Doringer fährt auf einer sicheren Schiene, vergleicht sich und seine Familie mit Gleichaltrigen – und das schon zwanzig Jahre lang. Diese Filme sind allemal aussagekräftige Dokumente des Zeitgeists, der Lebensentwürfe eben der Generation der heute knapp Fünfzigjährigen, der Marko Doringer angehört.
Zoo Lock Down, in Graz als Österreichische Erstaufführung präsentiert, ist ein Film von Andreas Horvath. Er hat sich während der pandemiebedingten Schließzeit des Zoos in Hellbrunn umgesehen und die Gunst der besucherlosen Wochen genutzt, um die „Schein-Kulissen“ einer solchen Institution auszuloten und zugleich den Alltag, die Logistik eines solchen Unternehmens zu vermitteln.
Eine gewisse Relevanz fürs Österreich-Selbstbewusstsein hat Stams von Bernhard Braunstein, gilt das Skigymnasium dort doch als Kaderschmiede für Wintersportler. Ein Jahr lang Recherche mit der Kamera, ein Sichtbarmachen der Herausforderungen, des Enthusiasmus, und natürlich auch der Schattseiten einer solchen Hinführung zum Hochleistungssport – das ist Braunstein sehr ausgewogen gelungen.
Die Dokumentarfilm-Jury hat sich dann für den Hauptpreis aber doch für ein Europa-relevantes Thema entschieden: Der mit 21.000 Euro dotierte Große Diagonale-Preis für Dokumentarfilm ging an den Doku-Essay Souls of a River von Chris Krikellis. Der Grenzfluss zwischen der Türkei und Griechenland, der Evros, heißt nicht nur nach Europa, über oder genauer durch ihn führt auch der Weg für viele Menschen dorthin. Und für viele, für zu viele enden Flucht und Leben genau hier. Sie kentern mit überfüllten Schlauchbooten oder versuchen gleich schwimmend den illegalen Grenzübertritt – und nicht wenige erleiden dann den „stillen Tod“, wie es ein griechischer Gerichtsmediziner beschreibt. Sie erfrieren in ihrer nassen Kleidung, weil sie sich nicht getrauen, so nahe an der Grenze wärmende Feuer anzuzünden. Sie könnten entdeckt und zurückgeschoben werden.
Der jetzt in Wien lebende Chris Krikellis, der in dieser Gegend geboren wurde und mit seiner Mutter als Achtjähriger von hier ins sichere Deutschland geflohen ist, porträtiert eine Landschaft in eindrucksvollen Naturbildern, und er führt Gespräche mit besagtem Gerichtsmediziner, der sich mit der Identifikation der Toten beschäftigt. Und der Filmemacher denkt zugleich über sich und den Begriff von Heimat als solcher nach. „Die Kunst dieses Films liegt darin, uns in eine Seelenlandschaft zu führen und das fragile Konzept von Identität vor Augen zu halten“, urteilte die Jury. Auch einen Preis für die Montage gab es für diese eindrucksvollen Bilder.
Der preisgekrönte Spielfilm ist Vera von Tizza Covi und Rainer Frimmel mit der und über die Schauspielerin Vera Gemma, ein wenig hell leuchtendes, dafür sehr buntes Sternchen in ihrem fordernden Metier. Die Jury entdeckte „ein melancholisches und dennoch lebendiges Porträt einer fehlerhaften Figur, der es irgendwie in ihrem zerschlagenen Herzen gelingt, die Menschen um sie herum mit dem Anstand und Mitgefühl zu behandeln, das ihr selbst häufig verweigert wird“. Tizza Covi und Rainer Frimmel sind ein erfolgreiches Filmemacher-Duo, mit Vera haben sie schon zum fünften Mal einen Hauptpreis bei der Diagonale eingeheimst.
Natürlich wäre auch Corsage von Marie Kreutzer für den Hauptpreis in Frage gekommen, wurde tatsächlich auch in mehreren Klein-Kategorien – beste Bildgestaltung, bestes Szenebild – gekürt. Die Hypothek Florian Teichtmeister als Hauptdarsteller ist wohl zu groß für Auszeichnungen. Die Diagonale-Schauspielpreise für einen bemerkenswerten Auftritt in einem Wettbewerbsfilm gingen an Pia Hierzegger für Family Dinner (Peter Hengl) sowie an Gerhard Liebmann für Eismayer (David Wagner).
Ein Streiflicht noch aus der Kategorie Kurzspielfilm. Der 1992 in Salzburg geborene Bernhard Wenger fragt in Aufnahmen einer Wetterkamera nach Urlaubs-Sehnsuchtsorten und dort lauernden zwischenmenschlichen Fallen. Die fix installierten Wetterkameras machen erbarmungslos gleichmäßig ihre Schwenks, und die Spielszenen offenbaren, dass es nicht unbedingt Skilehrer sind, die hier den Macho raushängen lassen. Es geht mit der Anmache nicht erst „apres“ an der Schirmbar los...
Bilder: Diagonale
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