Testosteron und Kettenrasseln
HINTERGRUND / FILM
09/11/18 Wie steht's um die Männlichkeit, die sich hinter den Krampuslarven versteckt? Dort, wo sowohl Gabriele Neudecker als auch die Krampuspassen sich besonders heftig umtreiben, im Salzburg nämlich, ist der Film Gruß vom Krampus heute Freitag (9.11.) zum ersten Mal zu sehen.
Eine Doppelpremiere im Bundesland übrigens, der Film wird heute Abend sowohl im „Das Kino“ als auch in Lofer bei den dortigen Filmtagen projiziert.
Einige wenige Tage rund um den 5. Dezember – das wäre der eigentliche Brauch-Termin – reichen schon lange nicht. Der Krampus-Brauch boomt vor allem bei der Jugend, in jedem Ort gründen junge Leute neue Krampus-Passen und immer mehr Zuschauer strömen zu den Läufen. Der ursprüngliche Hausbesuchs-Brauch ist zum öffentlichen Event mutiert. Selbst an kleineren Orten sind Krampusläufe mit einem Dutzend und mehr Passen keine Seltenheit. Und anstatt holzgeschnitzter Masken gibt es Zombie-Grimassen. Bengalische Feuer ebenso anzutreffen wie Absperrungsgitter, die Krampusläufer von den Zuschauern trennen. „Testosteron, Adrenalin und modernes Balzverhalten mischen sich zu einem explosiven Zündstoff, der sich in den Krampus-Umzügen entlädt“, so die Salzburger Filmemacherin.
Die Kultur- und Sozialanthropologin Ilona Grabmaier hat vor ein paar Jahren in der Zeitschrift der Salzburger Volkskultur einen aufschlussreichen Aufsatz über „Krampusboom und Männlichkeitskrise“ in geschrieben. Sie hat sich nämlich die statistischen Zahlen zur Bevölkerungsstruktur in Dorfgastein genau angesehen. Dort gab es Anfang der siebziger Jahre nur drei Krampuspassen, jetzt sind es derer zwölf. Ungleich mehr Frauen (weil gut ausgebildet) als Männer wanderten in die Städte ab, so die Soziologin. Das bedeute, „dass dem Ort immer mehr Frauen im heiratsfähigen Alter verloren gehen“. Es werde „für junge Männer in Dorfgastein immer schwieriger, Partnerinnen für Familiengründungen zu finden“. Im vereinsmäßig organisierten, männerdominierten Krampus- und Perchten-Vereinswesen sieht die Wissenschafterin eine Reaktion auf diesen für die jungen Männer betrüblichen Umstand.
Mit dieser Sicht mag die Wissenschafterin übers Ziel hinausschießen. Dass aber solche Bräuche zur Identitätsstiftung beitragen, zum Männlichkeits- wie dem Heimatgefühl gleichermaßen, steht außer Zweifel und gilt für viele andere Bräuche im Jahreskreis genau so.
Im Film Gruß vom Krampus von Gabriele Neudecker kommt auch ein anderer Aspekt heraus: „Das Krampuslaufen als wiederkehrendes Winter-Ritual bietet nicht nur Action, Spannung und Nervenkitzel, sondern erfüllt das Verlangen der Menschen nach Tradition und mystischen Veranstaltungen. Im Krampus-Brauch steckt sehr viel, was junge Leute fasziniert und die Sehnsüchte dieser Zeit befriedigt: Das Maskieren, das Ausbrechen, das Schlüpfen in eine andere, stärkere Rolle, das Beschwören und Einswerden mit der Natur und den Jahreszeiten.“
Lang war Gabriele Neudecker unterwegs, um auf und unter die die Fellkostüme zu schauen. Mit einem lokalen Filmteam hat sie mehr als hundert Krampus- und Perchtenpassen verfolgt. Die Regisseurin beleuchtet das boomende Krampus-Laufen als männlichen Initiationsritus, zeigt die unbändige Lust am Maskieren: „Männer bereiten sich monatelang und akribisch auf die Läufe vor, schminken sich liebevoll gegenseitig, entwickeln ganze Choreografien und stecken sehr viel Geld in die kostspielige Ausrüstung.“
Übrigens gebe es auch Krampuspassen, die den Ausschluss von Frauen in vielen Passen aufgrund von „alten Traditionen“ in Frage stellen, heißt es. Aber „Gerade junge Männer finden Sicherheit in ihrer aktiven Rolle als Krampus, während ZuschauerInnen - und dabei oft gerade junge Frauen - ungezügeltes und wildes Verhalten eines 'starken' Krampus geradezu einfordern.“
Seine Uraufführung erlebte der Dokumentarfilm im internationalen Wettbewerb beim Worldfest Houston im April 2018 und wurde bisher mit fünf internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter eben in Houston den Silver Remi Award als „Best International Feature Documentary“. Die Dokumentation war bereits bei Filmfestivals in den USA, Argentinien, Kolumbien, Israel,
Indonesien, Indien, Russland, Italien, Armenien, Kroatien, Rumänien und Iran zu sehen.
Männerbilder, Männer-Rituale und Männlichkeits-Konstruktionen sind ein großes Thema für Gabriele Neudecker. Ihr international ebenfalls viel beachteter abendfüllender Film, Deserteur! (2012), kreist um den männlichen Tabubruch der Desertion gezeigt. Der Kurzfilm „Really hard be a good Masai“ findet augenzwinkernd viele Parallelen zwischen jungen Masai-Kriegern und Bayrischen und Salzburger Landjugend-Burschen.