Ich bin ein Rom.
IM PORTRÄT / RAIM SCHOBESBERGER
05/04/16 Raim Schobesberger lebt seit 17 Jahren in Salzburg. „Ich habe mich in Salzburg verliebt. Ich glaube nicht, dass ich mich je wieder in eine andere Stadt verlieben werde. Salzburg ist inzwischen meine Heimat.“ Geboren wurde Raim Schobesberger als Raim Bekirov in Mazedonien. „Ich habe einen mazedonischen Pass. Aber ich bin kein Mazedonier. Ich bin ein Rom geboren in Mazedonien.“
Von Heidemarie Klabacher
„Ich bin in Mazedonien in die Schule gegangen, habe dort das Militär absolviert. Wir haben uns integriert, haben alles so gemacht, wie die Mazedonier. Dennoch bin ich kein Mazedonier.“ Er sei nie ein Mazedonier geworden - wollte nie einer sein.
„Woher komme ich?“ Die Frage nach der eigenen Identität müssten sich besonders die Angehörigen der Roma immer wieder und immer wieder neu stellen. „Wir lügen uns sonst selber an.“
Raim Schobesberger hat vor drei Jahren den Verein „Phurdo Salzburg – Zentrum Roma-Sinti“ gegründet. „Es war nicht ganz einfach, sich in Salzburg durchzusetzen. Die Salzburger sind ein reserviertes Volk. Aber man darf sich nicht fürchten. Und sie haben sich inzwischen an uns gewöhnt und akzeptieren uns.“
Man versuche im Verein Phudro etwa die Bettler so gut wie möglich zu unterstützen, den Menschen wenigstens zur „Menschenrechtswürdigkeit“ zu verhelfen. Menschenrechtswürdigkeit - ein Wort, das man sich merken und als Angehörige der „Mehrheitsbevölkerung“ in den aktiven deutschen Wortschatz aufnehmen sollte.
Das Romanes-Wort „Phurdo“ bedeutet „Brücke“. Tatschlich wollen Vereinsobmann Raim Schobesberger und die stellvertretende Vereinsobfrau Nadja Lobner eine Brücke schlagen zwischen der „Mehrheitsbevölkerung“ und den Roma und Sinti: „Es ist uns schon gelungen, vieles zur Sprache zu bringen.“
Ganz besonders wichtig ist es Raim Schobesberger – der den Namen seiner Frau angenommen hat – das Selbstbewusstsein der Angehörigen seiner eigenen Volksgruppe zu stärken. Denn bis heute hielten unzählige Roma ihre Herkunft geheim: „Aus Angst vor Diskriminierung verschweigt man, wer man ist. Das ist ein Fehler.“
Er selber habe ebenfalls schon als Kind Diskriminierung erlebt, als die anderen Kinder in der Schule nicht neben ihm sitzen wollten und sagten „Das ist ein Zigeuner“. Das wirkt nach bis ins Erwachsenenleben. „Viele wollen sich nicht als Roma bezeichnen. Aber sie müssen beginnen, es zu werden.“
Lange Zeit habe er selber – einer in Deutschland verheirateten und perfekt assimlierten älteren Schwester zu liebe – seine Herkunft verleugnet. „So lange, bis ich es nicht mehr ertragen konnte.“ Der Tag der Befreiung seiner verdrängten Herkunft war ein Fest. Mit der Schwester habe er freilich nur mehr telefonischen Kontakt.
Das Wort „Zigeuner“, das mit fröhlichen Tänzen und allerlei sonstigen und meist weniger positiven Klischees belegt ist, lehnen die Roma tatsächlich ab. Es ist und bleibt - auch in all seinen Varianten in den verschiedensten Sprachen und Herkünften – ein abwertender Fremdbegriff, erklärt Raim Schobesberger.
Viele Roma und Sinti, die in Salzburg oder sonstwo in Mitteleuropa ankommen, sind traumatisiert. Viele tragen an Familien-Traumata, die noch Eltern und Großeltern in den Verfolgungen und der Vernichtung im Zweiten Weltkrieg erlitten haben. Gewalt erlitten haben aber auch jüngere Generationen, etwa Roma, die 1990 aus dem Jugoslawienkrieg nach Österreich oder Deutschland gekommen sind. Auch unter den „aktuellen“ Flüchtlingen aus Syrien oder Afganistan sind Roma und Sinti. Getwalt gegen Roma und Sinti ist ein europäisches, ja ein internationales, Problem.
Er sei erst vor wenigen Wochen auf einem Roma-Kongress in Indien gewesen – dem Herkunftsland aller Roma, erzählte Raim Schobesberger, dessen Verein mit dem Literaturhaus beim Festival Europa der Muttersprachen kooperiert, heute Dienstag (5.4.) im Literaturhaus. Er sei selber erstaunt gewesen, über die Ähnlichkeit des Romanes mit dem Indischen. Man habe sich verständigen können, wie unter Angehörigen verschiedener Dialekte derselben Sprache. Einer der Tagesordnungspunkte sei die geplante Standardisierung des Romanes gewesen: „Es gibt bis heute keine einheitliche Romanes-Standardsprache.“
Warum hat das Volk der Roma vor siebenhundert Jahren Indien überhaupt verlassen? Es habe an zahlreichen Fronten Kriege zwischen Asien und Afrika gegeben, die Menschen seien geflohen... Klingt bekannt: „Flüchtlinge halt…“, sagt Raim Schobesberger. Heimat gefunden haben die Roma nie wieder. „Indien zu verlassen, war ein Fehler, den wir bis heute bereuen.“
www.phurdo.org
Bild: dpk-klaba
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