Mit dem Kopf fühlen und mit dem Herzen denken
IM PORTRÄT / DANIEL BARENBOIM
13/08/15 Er gehört in diesen Tagen zu den Vielbeschäftigten auf den Konzertpodien der Festspiele: Drei Mal leitet Daniel Barenboim sein West-Eastern Divan Orchestra, und dann folgt noch Mahlers „Neunte” mit den Wiener Philharmonikern.
Von Anne Zeuner
Boulez selbst habe oft über verschiedene Elemente seiner Musik geredet, aber sehr wenig über Emotionalität, weil es für ihn eine Selbstverständlichkeit sei, weiß Daniel Barenboim, der auch heute Donnerstag (13.4.), in einem Kammerkonzert des West-Eastern Divan Orchestra, ein Stück von Boulez dirigiert. „Boulez hat es geschafft, mit dem Kopf zu fühlen und mit dem Herzen zu denken“, so Daniel Barenboim.
Wer das Stück „sur Incises“ (das steht heute im Großen Saal des Mozarteums auf dem Programm) zum ersten Mal höre, sei überzeugt, dass Boulez Elektronik genutzt habe. „Ich liebe diesen Effekt, denn im Stück kommt gar keine Elektronik zum Einsatz“, erklärt Barenboim. Boulez habe sich intensiv mit der Länge von Nachhall beschäftigt, um diesen Effekt zu erreichen. „Er hat die Musikwelt wirklich verändert.“
Für Daniel Barenboim ist Pierre Boulez nicht nur „die wichtigste und interessanteste Persönlichkeit der zeitgenössischen Musik“. Boulez ist auch ein Freund und Wegbegleiter des Dirigenten.
Im Jahre 1964 habe er zum ersten Mal Boulez gespielt, damals habe er noch kaum Erfahrung mit zeitgenössischer Musik gehabt. „Es war damals ein Fluch und ein Glück zugleich, Pierre Boulez neben mir zu haben“, sagt Daniel Barenboim. „Natürlich hat er mir viel geholfen, aber ich war alles andere als entspannt.“
In der damaligen Zeit habe es eine seltsame Haltung in der Öffentlichkeit gegenüber dieser Musik gegeben. „Ich erinnere mich an eine Radiomoderation, in der ein Boulez-Stück angekündigt wurde mit den Worten – ‚Bleiben Sie dran, die Stücke dauern nicht sehr lange‘.“ Das war 1980 und es handelte sich um die Stücke Notations I-IV.
Notations VII kam dann 2002 hinzu - Barenboim selbst hatte diese Orchesterfassungen in Auftrag gegeben, was seine enge Bindung zu Boulez zeigt. Barenboim reiste dennoch mit den Stücken durch die Welt und spielte sie mit verschiedenen Orchestern. „Ich liebe diese Werke wirklich sehr“, sagt der Maestro. „Boulez ist für mich ein großer Komponist, aber auch ein großer Mensch.“
2016 möchte er in Berlin die Barenboim-Said-Akademie in Berlin eröffnen, 2017 dann einen Konzertsaal mit dem Namen „Pierre Boulez“. Er wolle einen Ort schaffen, an dem junge Menschen, vorrangig aus dem Nahen Osten, eine gute musikalische Erziehung bekommen können. „Ich finde es traurig, dass diese Menschen keine musikalische Bildung in der Schule erhalten“, sagt Barenboim. „Musik wird dort als elitär angesehen und wird daher nicht subventioniert.“
Nicht nur Musik solle in der Akademie vermittelt werden, auch mit philosophischen Fragen sollen sich die Schüler auseinandersetzen. Aus Israel und den arabischen Ländern, sprich Libanon, Syrien, Jordanien, Palästina, Ägypten, der Türkei und dem Iran sollen die Menschen kommen, um in Berlin auf hohem Niveau ausgebildet zu werden.
Bereits 1999 gründete Barenboim sein West-Eastern Divan Orchestra, das zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern besteht. 2014 sei das Orchester durch den Gaza-Konflikt ganz schön auf die Probe gestellt worden. Er habe sich sofort mit seinem Orchester zusammengesetzt und über die Probleme geredet. Das englische Wort „compassion“ drücke es besser aus als das deutsche Wort Mitgefühl – wer dieses Gefühl für den jeweils anderen nicht habe, solle gehen, sagt Barenboim.
„Über die Politik mögen wir verschiedener Meinung sein, aber was die Musik angeht, so haben wir in den vergangenen Jahren eine unglaubliche Homogenität entwickelt“, sagt der Maestro. „Kultur allein kann sicher keine Lösung bringen, aber wir sind immerhin 105 Musiker, Menschen, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen.“
Übrigens ist das Festspieldebüt Barenboims heuer genau ein halbes Jahrhundert her, natürlich als Pianist (zu dirigieren hat er ja erst später begonnen): Am 18. August 1965 spielte er bei einem Orchesterkonzert mit den Wiener Philharmonikern unter Zubin Mehta Mozarts Klavierkonzert KV 491. Als Dirigent trat er bei den Festspielen 1990 zum ersten Mal auf, am Pult des Berliner Philharmonischen Orchesters mit Stücken von Schönberg und Beethoven. (PSF)