Das Gewissen der Musik
TODESFALL / MICHAEL GIELEN
09/03/19 Michael Gielen in einem Interview des SWF Baden-Baden über musikalische Autorität vor dem Orchester „Es müsste überspringen, dass der genug weiß, um uns Musikern hier etwas beizubringen.“ Der Dirigent, den gerade solch unbedingte Autorität auszeichnete, ist am Freitag (8.3.) in Mondsee gestorben.
Von Reinhard Kriechbaum
Eben diese Autorität sei die enorme Hürde für junge Dirigenten, sagte Gielen im selben Interview – und er wusste, wovon er sprach, leitete er doch von von 1987 bis 1995 die Dirigentenklasse an der Universität Mozarteum. Seine Abschiedsrede im Großen Saal des Mozarteums haben wir noch im Ohr, Gedanken eines hoch reflektierten Kulturpessimisten, der am „Musikbetrieb“ unserer Tage, sprich: einem Musikleben, das ganz wesentlich vom Diktat des Geldes gelenkt wird, kein gutes Haar ließ.
Michael Gielen war noch jener Typus Kapellmeister, der in seinen Beruf ganz anders hineingewachsen ist, als es heutzutage für junge Dirigenten üblich geworden ist. Der Sohn des österreichischen Theatermanns und späteren Intendanten des Burgtheaters Josef Gielen kam als Zwölfjähriger mit seiner Familie auf der Flucht von der Nazis nach Argentinien. Mit dem eine Generation älteren Dirigenten Fritz Busch spielte er vierhändig Klavier. Im Emigrantenmilieu erhielt er seine musikalische Ausbildung und studierte auch kurz Philosophie. Gielen, Neffe des Pianisten Eduard Steuermann, studierte dort auch Ernst Kreneks Schrift Über neue Musik. Die Neue Musik sollte eine Domäne Gielens werden, der aber genau so als Interpret von Beethoven, Bruckner und Mahler Maßstäbe setzte. Zweite Wiener Schule sowieso.
Doch zuerst kam das Korrepetieren: Seine Karriere hat der 1927 in Dresden Geborene als Repetitor für Maria Callas am Teatro Colon in Buenos Aires begonnen (sie sang dort die Norma). 1950 ging Gielen an die Wiener Staatsoper, korrepetierte dort für Karajan, Böhm, Krauss und Mitropoulos. Karajan schickte ihn nach Mailand an die Scala, wo Gielen für ihn einige Tristan-Proben leitete, die Gielen ebenfalls in einem Interview für den SWF als sehr wesentliche Jugendeindrücke schilderte. Die Königliche Oper in Stockholm, das Belgische Nationalorchester in Brüssel und die Niederländischen Oper in Amsterdam waren erste Stationen für den Dirigenten.
Operngeschichte schrieb er als Dirigent der Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten hat er 1965 in Köln auf die Bühne gebracht, nachdem Dirigenten wie Günter Wand und Wolfgang Sawallisch das Werk für „unspielbar“ erklärt hatten. „Eine jener Großtaten Gielens, die Musikgeschichte schrieben“, so Gerhard Rohde in der „Neuen Musikzeitung“ über dieses Ereignis. Von 1977 bis 1987 war Gielen Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt (in dieser Zeit wurde die Alte Oper wiedereröffnet). Legendär war Gielens Ära als Leiter des SWF Sinfonieorchester Baden-Baden, 1986-1999.
Schon in Argentinien hatte Gielen in einem Ensemble für Neue Musik gespielt und Mauricio Kagel kennen gelernt. Und 1949 spielte er das Klavierwerk Schönbergs. Als Interpret Neuer Musik war von Donaueschingen bis zum Grazer Musikprotokoll zugange. Von seiner außerordentlichen analytischen Fähigkeit profitierte aber Musik jeder Epoche (Bach war ihmauch nahe).
Michael Gielen bei den Salzburger Festspielen: Da debütierte er 1972 mit dem ORF-Symphonieorchester. Auf dem Programm standen Werke von Luigi Nono, Arnold Schönberg und Bela Bartók. 1989 brachten er und das ORF-Symphonieorchester Monumentum, das Auftragswerk von Friedrich Cerha zum Geburtstag des Bildhauers Karl Prantl, zur Uraufführung. 1992 dirigierte er eine beeindruckende Eröffnungsveranstaltung der Salzburger Festspiele mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester. Ab 1993 war er mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden hier. 1995 stand Gielen in Salzburg erstmals am Opernpult, für Alban Bergs Lulu in der Regie von Peter Mussbach. Die Aufführung wurde damals zur Inszenierung des Jahres gekürt. Im selben Jahr leitete Michael Gielen das Gedächtniskonzert 50 Jahre nach Kriegsende mit Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter, ein Werk, für das er sich schon zuvor in Deutschland mit der ihm eigenen Autorität stark gemacht hatte. Mehrmals war Gielen beim Zeitfluss zu Gast und er dirigierte bei den Festspielen 1998 Beethovens Fidelio und 2000 Mozarts Idomeneo.
Als „Gewissen der Musik“ hat Gerhard Rohde den Künstler bei einer Geburtstags-Laudatio bezeichnet. „Viele seiner komponierenden Zeitgenossen und manchen jüngeren Avantgardisten hat er dank seiner Autorität zu großen Komponisten erhoben, indem er mit der ihm eigenen Intensität und Beharrlichkeit in deren Partituren das Geniale aufspürte.“ Ende Oktober 2014 beendete Gielen aus gesundheitlichen Gründen seine Dirigentenkarriere und lebte zurückgezogen in Mondsee. Er wurde 91 Jahre alt.