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Lebensläufe, Alltagswunder

IM PORTRÄT / TARA PROCHASKO, TANJA MALJARTSCHUK

28/04/17 In Iwano-Frankiwsk lebt der Schriftsteller Taras Prochasko. Das ist eine jener ukrainischen Städte, denen man bis heute auf Anhieb ansieht, dass dieses Gebiet einst zur österreichischen Monarchie gehörte. Es liegt in etwa auf halber Strecke zwischen Lemberg und Tschernowitz, was freilich vielstündige Bahnfahrten in beide Richtungen bedeutet.

Von Reinhard Kriechbaum

Erstaunlich eigentlich, dass Galizien für uns heute so unendlich weit weg ist. Die Hauptstadt der Region, Lemberg, war immerhin die viertgrößte Stadt Monarchie. Und ja, man redet in diesem Landstrich der Ukraine nicht Russisch, sondern eben Ukrainisch. Auf den ersten Blick erkennt man diese Sprache daran, dass man trotz zyrillischer Buchstaben das „I“ wie im Westen schreibt, wogegen die Russen dafür ein spiegelverkehrtes „N“ verwenden.

Taras Prochasko hat mit „Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen“ (Suhrkamp 2009) ein überaus poetisches, aber gleichzeitig tief in der Geschichte verankertes Buch über die Karpatenregion geschrieben, in der Iwano-Frankiwsk liegt. Dort also lebt (s)eine Familie, deren Erinnerungen von der Tschechoslowakei, woher der Name stammt, bis nach Sibirien, wohin die Großmutter des Erzählers deportiert wurde. Schlangen, um Kaffee oder Milch zu kaufen, in der Morgendämmerung in Frankiwsk, Züge in die Berge, Porträts von Bob Marley und Bars in Lviv (der ukrainische Name von Lemberg, auf Russisch Lwow) – Prochaskos Welt ist voll von plastischen, lebensechten und verrückten Details. Eigentlich ist Taras Prochasko, 1968 geboren, studierter Botaniker.

Auch Tanja Maljartschuks 2013 im Residenz Verlag erschienene „Biografie eines zufälligen Wunders“ spielt im ukrainischen „San Francisco“. Jedenfalls ist in dem beschriebenen Ort Iwano-Frankiwsk zu erkennen. „Lenas Oma […] konnte sich nicht nur an die alte Zeit erinnern, sondern auch noch an die sogenannte 'graue Vorzeit', als die Proletarier aller Länder sich noch nicht vereinigt hatten, um eines Tages ihren schönen Acker umzupflügen. Wenn sie davon erzählte, sagte sie immer 'in der Zeit, als hier noch Österreich war'. Manchmal irrte sie sich aber und sagte ‚als hier noch Polen war‘, wobei sie höchstwahrscheinlich dasselbe meinte. Für Lenas Oma war das die beste Zeit ihres Lebens.“

Aus der Sicht eines Schulmädchens und später einer jungen Journalistin wird die unerträgliche Realität der 1990er Jahre mit Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt gezeigt. Lena wehrt sich und setzt sich für andere ein – mit viel Mitleid und Mut. Die Hartnäckigkeit der absurden Realität mischt sich mit der Möglichkeit „zufälligen Wunders“.

Tanja Maljartschuk, die seit 2011 in Wien lebt, ist im deutschsprachigen Raum ziemlich populär. Als erstes erschien eine Sammlung von Erzählungen „Neunprozentiger Haushaltessig“ (Residenz 2009). Ihr drittes ins deutsche übersetztes Buch heißt „Von Hasen und anderen Europäern. Geschichten aus Kiew“ (edition.fotoTAPETA 2015). Der Originaltitel „Zviroslov“ ist in etwa wie „ein Wort über Tiere“ zu übersetzen, eine Variation auf ein mittelalterliches Bestiarium – allerdings über Menschen. Gewalt, Einsamkeit, skurrile Geschichten – die Prosa von Tanja Maljartschuk ist sehr lebendig und sehr lebensecht. Die Namen von zehn Tieren von einer Qualle über das Schwein bis zum Schmetterling geben eine metaphorische Anknüpfung für ein Panorama des Lebens in einer großen Stadt – Kiew: „Ein poetisch-unsentimentaler Blick in den ukrainischen Alltag“, befand der WDR.

Taras Prochasko und Tanja Maljartschuk sind heute Freitag Gäste im Literaturhaus Salzburg, am letzten Tag des Festivals „Europa der Muttersprachen“, das der Ukraine gewidmet war – www.literaturhaus-salzburg.at
Bilder: Wikipedia (1); Residenz Verlag / Lukas Beck (1)

 

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