Fundamentalismus ist Flucht in die Gewissheit
SALZBURGER HOCHSCHULWOCHEN
08/08/16 Auf einen Zusammenhang von Religiosität und Menschenfeindlichkeit hat der Bielefelder Psychologe und Gewaltforscher Andreas Zick dieser Tage bei den Salzburger Hochschulwochen hingewiesen: Menschenfeindlichkeit sei unter jenen Menschen am größten, die ihre eigene Religion als „die einzig wahre Religion“ verstehen.
Von Henning Klingen / Kathpress
Zu dieser Gruppe zähle sich immerhin ein Viertel der sich als religiös bezeichnenden Menschen in Deutschland, meint Zick. Der Zusammenhang werde nicht nur darin sichtbar, dass bei „Pegida“-Demonstrationen stets ein Kreuz vorangetragen werde und die Verteidigung eines christlichen Abendlandes mit der Abwertung Anderer einhergehe, sie zeige sich eben auch statistisch, nach einer Erhebung des von Zick geleiteten „Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung“ an der Universität Bielefeld.
Konkret zeigten die Daten in dieser auf den Wahrheitsbegriff fokussierenden Gruppe eine überdurchschnittliche Neigung zu Homophobie, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Islam- und Fremdenfeindlichkeit, so Zick im Rahmen eines Vortrags am Samstag (6.8.) bei den "Salzburger Hochschulwochen". Interessant sei in dieser Gruppe zugleich der „verstellte Blick“, denn gerade diese Leute schätzten sich selbst als besonders empathisch ein. „Das Beharren auf der eigenen, exklusiven Identität fußt hier auf einer Abwertung der Anderen.“
Die Radikalisierungsgefahr steige, „wo Menschen in eine Vertrauenskrise geraten“, wo sie also das Vertrauen in den Staat, die Politik oder auch in sich selbst verlieren. Erkennbar sei dies etwa bei den Protestformen der „Identitären Bewegung“, wo sich dem antidemokratischen Affekt zugleich die Angst vor Überfremdung, vor „dem“ Islam, die Ablehnung Europas und eine „maßlose Elitenkritik“ zur Seite geselle. In dieser Gemengelage stehe das Christentum in der Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen.
Eine wichtige Aussage des Gewaltforschers: Vertrauenskrisen und kollektive Ängste wachsen nicht an den gesellschaftlichen Rändern, sondern gerade in ihrer Mitte, bei den gut Situierten. Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ seien, so Andreas Zick, eigentlich Fluchtbewegungen vor der Realität bzw. vor dem individuellen Nicht-Verstehen zunehmend komplexer gesellschaftlicher Formationen: „Menschenfeindlichkeit schafft Ordnung, lässt die Welt verstehen, gibt mir Kontrolle und Selbstwert.“ Durch die "Abwertung des Anderen" suche der Mensch offenbar nach Identität, Sicherheit und Orientierung.
Als Wurzel der sich aufschaukelnden Menschenfeindlichkeit macht der Konfliktforscher eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ aus. Das Gefühl, dem anderen gegenüber unterlegen, ausgeliefert zu sein, sei „das Einfallstor der Menschenfeindlichkeit“. Die empirische Forschung widerlege im übrigen die Annahme, dass ein Mehr an Bildung automatisch zu einem Sinken an Rassismus, Chauvinismus, Fremden- und letztlich Menschenfeindlichkeit führe. Alarmierend sei auch die Zunahme an Menschenfeindlichkeit auch in der jüngeren Generation der bis 30-Jährigen, so der Forscher.
„Wer glaubt, fundamentalistische Gewalt habe mit Religion nichts zu tun, erliegt einer Selbsttäuschung.“ Das sagte die islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi. Religiöser wie politischer Fanatismus und darauf folgende Gewalt seien zwar unmittelbare Reaktionen auf gesellschaftliche Umbrüche und Destabilisierungen, zugleich jedoch spiele Religion als jener Ort, an dem nach einfachen und schnellen Antworten gesucht werde, eine wichtige Rolle. „Es ist das Gebot der Stunde, genau hinzusehen und nicht den Fanatikern die Deutungshoheit über die religiösen Quellen zu überlassen“, mahnte die am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn lehrende Wissenschafterin.
Gesellschaftliche Umbrüche würden zahlreiche Menschen heute überfordern und verunsichern. Daher gelte es, sich den Sorgen gerade auch der jungen Menschen in besonderer Form zuzuwenden, da diese eine Affinität zu schnellen Antworten auch in der Religion besäßen. Das Pochen auf theologischen Richtigstellungen sei nicht genug, man müsse genauer nach den Ursachen fragen, warum junger Menschen für religiöse kurzschlüssige Antworten anfällig seien.
Auch die Islam-Wissenschafterin argumentierte, Fundamentalismus und Fanatismus wachse „bei Menschen, die das Gefühl haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren“. Fundamentalismus sei daher letztlich eine „Fluchtbewegung in Gewissheit“.