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Mit der ganzen Seele bei der Kultur

IM WORTLAUT / RENÉ-MARCIC-PREIS / LAUDATIO

12/05/14 Matthias Schulz von der Stiftung Mozarteum Salzburg hielt heute Montag (12.5.) die Laudatio bei der Verleihung des René-Marcic-Preises an die DrehPunktKultur-Chefredakteure Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbaum. - Die Rede im Wortlaut.

Von Matthias Schulz

„Wer nichts Gescheites zu sagen weiß nach herrlicher Musik, der halte doch lieber das Maul“. Das schrieb Clara Schumann in einer Tagebuchaufzeichnung 1856. Wie oft möchte man diesen Ausspruch wiederholen und wünscht sich eine ernsthafte, liebende, auch humorvolle Auseinandersetzung mit Kultur. Bei den heute geehrten Preisträgern des René-Marcic-Preises denkt man nie an diesen Satz und das ist viel wert. In der Jurybegründung heißt es unter anderem: „In Zeiten des Ringens der Printmedien und ihrer Verlagshäuser um einen adäquaten digitalen Auftritt erfüllen Reinhard Kriechbaum und Heidemarie Klabacher als Gründer, Herausgeber und Redakteursteam von Salzburgs erster Kultur-Tageszeitung im Internet, dem DrehPunktKultur, die Vorgaben auf ebenso überzeugende wie unprätentiöse Weise“.

Das Wort „unprätentiös“ gefällt mir in diesem Zusammenhang besonders und passt in diesem Fall ausgesprochen gut, erscheint aber fast anachronistisch.

Claras Mann, Robert Schumann, schrieb 1849 in einem Brief an den Komponisten und Dirigenten Georg Friedrich Otten: „Etwas Tüchtiges wird auch ohne Zeitungsartikel bekannt – das tragen schon gute unsichtbare Geister durch die Lüfte.“ Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbaum sind sicherlich „gute Geister“, aber sie sind nicht unsichtbar – und das ist auch gut so! Robert Schumann wird in der nächsten Konzertsaison der Stifung Mozarteum ein Schwerpunkt gewidmet sein. Mit diesen Saisonkonzerten versucht die Stiftung Mozarteum, beste Kammermusik in den bestens dafür geeigneten Sälen zeitgemäß zu präsentieren und zu zeigen, dass diese eben nicht nur eine „Sonntagsdroge für ergraute Bildungsbürger“ ist (wie es einmal in einem Artikel auf Spiegel online hieß), sondern dass sich in dieser Musik die schönsten Ideen der Komponisten widerspiegeln. Die Art und Weise, wie DrehPunktKultur das begleitet, zeigt auf wunderbare Weise, wie solche Bemühungen freundschaftlich unterstützt werden können, wenn die handelnden Personen mit Leidenschaft für die Sache agieren. In ihrem Selbstverständnis sind Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbaum nicht nur Sympathisanten, sondern Freunde der Kulturinstitutionen in der Region – und vice versa – wobei „Freund sein“ keinesfalls bedeutet, unkritisch zu sein – im Gegenteil, und das wird so gelebt! Damit sich Kunst und Kultur in richtiger Weise in der Gesellschaft verankern können, braucht es diese freundschaftliche, menschliche Art, die nicht wahllos die manchmal zarten Pflänzchen „niedermäht“.

Wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung, kulturelle Werte richtig zu vermitteln und weiterzutragen. Mozart schrieb an seinen Vater 1778: „Geben Sie mir das beste Klavier von Europa und aber Leute zu Zuhörer, die nichts verstehen oder die nichts verstehen wollen und die mit mir nicht empfinden, was ich spiele, so werde ich alle Freude verlieren.“ Dem Kulturjournalismus kommt hierbei eine sehr wesentliche Aufgabe zu und DrehPunktKultur stellt dafür Räume zur Verfügung; sehr große Räume, die heute alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind. Viele Zeitungen haben nur noch wenige Zeilen für Konzertbesprechungen und kulturpolitische Diskussionen übrig.

Gerd Bacher hat anlässlich eines Symposions in St. Gallen 1986 gesagt: „...Nicht sicher bin ich, ob Wettbewerb um den größeren Marktanteil, den höchsten Umsatz, die besten Gewinnchancen, ein fruchtbarer Boden für die Entfaltung kultureller Hochleistung ist. Anspruchsvolle Kulturleistungen – sei es in der Literatur, der Kunst, der Architektur, der Wissenschaft oder eben in den Medien – gründen auf der Verwirklichung von Ideen, nicht auf dem Wettbewerb um Marktanteile... Die Kulturgeschichte zeigt, dass hoher Kulturanspruch oft nur in Biotopen verwirklicht wurde, die den Marktgesetzen entzogen waren...“. Die – vielleicht verrückte, weil vor allem aus innerem Anspruch und weit weniger den Wettbewerb berücksichtigende – Verwirklichung der Idee von DrehPunktKultur gleicht dem Anlegen und der Pflege eines Biotops. Die Verantwortlichen wussten und wissen, dass eine solche Unternehmung schlank aufgestellt sein muss, um dauerhaft Wirkung zu erzeugen. Um Missverständnissen vorzubeugen: auch kulturelle Betriebe können wirtschaftlich arbeiten, haben sogar eine besondere Verantwortung dazu – die Voraussetzungen sind meist nur völlig andere.

Gerd Bacher war es auch, der 1994 bei einem Mediensymposion vorausgesehen hat, dass: „...dieser digitale Textbegriff ein offenes Labyrinth von Unter-, Über- und Serientexten werden wird, ohne Anfang und ohne Ende, aber mit unfassbaren Schätzen, die sich immer wieder neu hinter der nächsten Weggabelung entdecken lassen – eine neue Literalität unter dem Primat des Elektronischen.“ Unter ‚Literalität‘ verstehen wir die „Lese- und Schreibfähigkeit“ genauso wie die „Bildung“, und wenn uns die digitale Welt hilft, hier neue Akzente zu setzten – wie es die Preisträger mit kulturellen Inhalten tun –, dann blicken wir positiver in die Zukunft. Genau zehn Jahre nach dieser Feststellung von Gerd Bacher wird DrehPunktKultur ins Leben gerufen und wiederum 10 Jahre später wird den Gründern dieser Internetplattform der René-Marcic-Preis verliehen. Wir stecken inmitten dieses Wandlungsprozesses und dabei hat sich herausgestellt, dass Print-Journalismus nicht (zumindest nicht ganz) durch Online-Journalismus ersetzt wird, dass Online auch nicht bedeutet, Print 1:1 ins Netz zu übersetzen, sondern dass sich vieles gegenseitig ergänzt und es die eindimensionale Informationsübermittlung nicht mehr geben wird – „Multichannel“ ist ein Wort der Stunde in vielen Bereichen.

Es heißt, dass besonders die „Generation Y“, von Soziologen auch „Digital Natives“ oder „Millennials“ genannt, da sie um die Jahrtausendwende im Teenageralter waren, also 1980 oder etwas später geboren wurden, alle erdenklichen Kanäle nutzt, um ihre Ziele zu erreichen. Wichtige dieser der „Generation Y“ zugeschriebenen Attribute haben allerdings Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbaum vorweggenommen. Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit digitalen Medien ist offensichtlich, wobei bemerkenswert ist, dass Reinhard Kriechbaum sich in der Gründungsphase das technische Wissen und die Werkzeuge zur Umsetzung autodidaktisch – man möchte fast sagen: wie immer unprätentiös – nach einem Handbuch „HTML für Anfänger“ angeeignet hat.

Das Streben – wie es die Generation Y mehr als andere Generationen vor ihr auszeichnet – nach Selbstverwirklichung und Sinnstiftung ist ebenfalls evident. Auch eine holistische Sichtweise (die, sich an Aristoteles orientierend, dem Ganzen mehr als der Summe der Teile zugesteht) ist zu erkennen. Nicht nur Beruf und Erfolg verschaffen Sinn, sondern der Bogen wird möglichst weit über das ganze Leben gespannt. Bei letzterem deckt sich bei den Gründern von DrehPunktKultur Freizeit und Beruf auf das Schönste. Sie leben ihr Hobby als Beruf und haben, wie sie selbst augenzwinkernd, nicht zuletzt in Hinblick auf die knappen Ressourcen, sagen, „keine Freizeitkosten“. Ihr Engagement im Kirchenchor, die Zuwendung zu ihrer Familie und ihren Freunden, Reisen und vieles mehr sind für sie gleichwertiger Teil ihrer Aktivitäten und Lebenssinn. Für die Generation Y muss nach der Theorie der Job ein Abenteuer sein und bleiben, der vor allem sinnhaft ist, Nutzen stiftet und etwas bewegt.

Die Millenials sind angeblich Teamplayer, aber auch Einzelkämpfer, wenn es die Situation erfordert; sie sind effizient, kreativ und hochmotiviert. Dieses Seiner-Zeit-voraus-sein war bei den Gründern von DrehPunktKultur notwendig und vorhanden, ansonsten hätten sie nicht bereits eine beachtliche Wegstrecke hinter sich lassen können.

In der digitalen Welt können Medienmacher bisherige Beschränkungen und Grenzen hinter sich lassen. Jetzt geht es weiterhin darum, die Grenzen der neuen Medien auszuloten. Man ist nicht beschränkt durch vorgegebene Formate. Man kann eine Geschichte so erzählen, wie es die Geschichte verlangt. In einer aktuellen Diskussion über Online-Journalismus und digitale Medienangebote werden insbesondere drei Missverständnisse aufgedeckt:

Erstens: Online muss man schnell sein.

Man kann schnell sein, man muss es aber nicht. Sendezeiten, Redaktionsschlüsse und ähnliche Beschränkungen kann man hinter sich lassen. Trotzdem scheint es oft wie ein Rennen um die schnellste Newsmeldung. Die Gefahr dabei ist, dass für das Nachprüfen der Fakten zu wenig Zeit bleibt und das Bewerten der Neuigkeit nicht vorgesehen ist. Die Leser bleiben oft überfordert und verwirrt zurück. Umso mehr steigt das Bedürfnis nach verlässlicher Information und nach Inhalten, die verständlich und umfassend Hintergründe erklären. DrehPunktKultur versucht gar nicht erst, in einen Wettbewerb um die schnellste Meldung zu treten – und das ist in diesem Bereich auch nicht nötig. Man ist allerdings schon stolz darauf, dass man den Printmedien um eine Nasenlänge voraus ist, exakt: um einen halben Tag.

Das zweite Missverständnis im Zusammenhang mit Online-Journalismus: Alles muss kurz sein.

Die Behauptung, Onlinetexte müssten kurz sein, hat in dieser Absolutheit noch nie gestimmt. Wikipedia zum Beispiel wurde nicht groß, weil es kurz und knapp ist – ganz im Gegenteil. Wikipedia hat allen Platz der Welt, um ein Thema darzustellen und zu erklären. Solange das Thema spannend und der Text gut geschrieben ist, wird er auch gelesen. Die Redakteure von DrehPunktKultur nehmen sich den Platz für ihre Themen, den sie brauchen und es ist wohltuend zu sehen, dass es in dieser Hinsicht keine Beschränkungen gibt. Sie schaffen damit ein Angebot, das nicht nur das Orientierungsbedürfnis ihrer Leser befriedigt, sondern darüber hinausgeht.

Drittes Missverständnis: Niemand bezahlt etwas im Zusammenhang mit Online-Journalismus.

Auch die Aussage, dass man online kein Geld für Inhalte verlangen kann, hat so noch nie gestimmt. Sofern ein passendes Angebot da ist, gibt es Einnahmen. Die Leser kommunizieren via Smartphone und nutzen ein Tablet. Sie kaufen Fachzeitschriften und Hochglanzmagazine und sie geben Geld für Seminare, Kurse und Konferenzen aus. Das Interesse ist da, Geld ebenfalls.

Gemeinsam mit Werbeeinnahmen durch Anzeigen und Banner oder durch ihr „Kulturpanorama“ als Branchenbuch der Salzburger Kultur lassen sich durchaus Einnahmen erzielen – auch die Stiftung Mozarteum nutzt diese Platzform gerne, um Konzerte oder anderes anzukündigen. Idealismus bleibt allerdings die entscheidende Voraussetzung, um eine solche Onlinekulturplattform längerfristig führen zu können. Deshalb an dieser Stelle ein Appell: DrehPunktKultur versucht Leser dazu zu bewegen, Förderer zu werden – werden Sie Förderer von DrehPunktKultur! Im Wochendurchschnitt werden rund 40 Meldungen und Berichte verbreitet, der jährliche Unterstützungsbeitrag für Newsletter-Abonnenten beträgt 18 Euro – ein sehr vernünftiger Preis. Es ist zu hoffen, dass zumindest dies – in Ermangelung eines Mahnwesens aufgrund fehlender Ressourcen – ernst genommen wird!

Die Abgrenzung zwischen Print- und Onlinejournalismus bleibt interessant und gilt es weiterzuverfolgen. Einen Kannibalismus des einen durch den anderen wird es auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht geben. Es gilt, beide Medien gemeinsam zu denken und die jeweiligen Räume aufeinander abzustimmen. Eine Hauptthese zu diesem Thema, die sich aus einem Twitter-Dialog der Zeitschrift Zeit ergeben hat, lautet: „Onliner kompensieren mangelnde Akzeptanz durch Zukunftsarroganz, Printler ihre Zukunftsangst mit Gegenwartsarroganz.“ DrehPunktKultur zeigt seit 10 Jahren in seinem „Salzburger Biotop“, wie diese vor allem mentalen Unterschiede zu überwinden sind und ein sinnvolles, zusätzliches Angebot aussehen kann.

Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbauch wussten seit dem Gründungsjahr von DrehPunktKultur 2004 mit ihrem Motto: „Jetzt tua ma wos!“ mit aller Leidenschaft genau, was sie wollten. „Schreibend auf die schiefe Bahn geraten“, wie sie selbst sagen, sind sie zwar schon viel früher, als sie die vorgezeichneten Berufswege, die beide wohl auf abgesicherte pädagogische Pfade geführt hätten, verlassen haben und sie sich als freie Journalisten in Redaktionen (wieder-)fanden. Der tollkühne Coup, 2004 dann noch einmal alles in Frage zu stellen, sich selbst nochmals neu auszuprobieren, sich anbietenden Sicherheiten zugunsten einer Idee zu entziehen beweist, wie groß ihre Leidenschaft für Kultur wirklich ist. Sie selbst definieren sich ganz einfach als „neugierige Menschen, die sich für Kultur interessieren und andere an der Freude teilhaben lassen wollen“, und, etwas weniger formal, „Wir sind mit der ganzen Seele bei der Kultur“. Und sie sind mit ganzer Seele Journalisten.

Das Internet als technische Infrastruktur erkannten die beiden 2004 in einer ganz spezifischen sozialen Umwelt als mögliches – und mittlerweile bewiesenes – Vermittlungssystem für das, was sie machen wollten: nämlich, durchaus im klassischen Sinn verstanden, Feuilletonjournalismus.

Schon ab dem Jahr 2000 war die Entwicklung absehbar: Die bis dahin neben den Sportredaktionen am personalintensivsten ausgestatteten Kulturredaktionen brachen ein. Die Vielfalt an lokalen Tageszeitungen kam zunehmend in die Krise und der Stellenwert der Kulturberichterstattung in den „klassischen“ Kulturredaktionen nahm ab. Gleichzeitig wurde aber das Kulturangebot in Salzburg um vieles größer.

Viele Veranstalter rebellierten, da nur noch sehr selektiv über Veranstaltungen berichtet wurde. Heidemarie Klabacher und Reinhard Kriechbaum haben die Möglichkeit erkannt, über das Internet eine breite Basis zu finden, um repräsentativ das Kulturleben in Salzburg widerspiegeln zu können und lokal eine weitere Stimme entstehen zu lassen (deren Verbreitung durch das Internet jedoch weit über das Lokale hinausgeht). Folgt man der Agenda-Setting-Hypothese, besteht die Bedeutung der medialen Berichterstattung nicht so sehr darin, was wir denken sollen, sondern worüber wir nachzudenken haben und legt gewissermaßen fest, welche Themen wir auf unsere Tagesordnung setzen. DrehPunktKultur ist heute ein wichtiger Mittler zwischen den Salzburger Kulturinstitutionen und ihrem Publikum, dem sie wiederum mit ihren Kritiken Entscheidungs- und Interpretationshilfe bietet. Als Kulturjournalisten geben sie Künstlern und Kulturinstitutionen wichtiges Feedback, tragen dazu bei, Unbekanntes zu entdecken und bekannt zu machen, und sind eine wichtige Stimme nicht zuletzt bei kulturpolitischen Entscheidungen. Künstlerische Produktionen vollenden sich erst in der geglückten Interaktion zwischen Kunstwerk und Rezipienten. DrehPunktKultur baut diese Brücke, informiert, differenziert, regt aber auch die Diskussion über Kunst und Kultur, über Kulturpolitik und über gesellschaftliche Fragen generell an.

Ein Preis wird durch jene, die ihn tragen, gewürdigt und ist höchste Verpflichtung. Deshalb bleibt uns nur, heute von ganzem Herzen die Wünsche von Heidemarie Klabacher, Reinhard Kriechbaum und DrehPunktKultur mitzutragen. Das sind: Kraft, Energie und Unterstützung, um weiterzumachen; auch Herausforderungen, viele verschiedene Stimmen für die Kultur, eine große Vielfalt der Meinungen, anregender Austausch und die anhaltende Freude daran, die Erwartungen ihrer Leser zu erfüllen.

Matthias Schulz ist Kaufmännischer Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter der Stiftung Mozarteum Salzburg
Bild: ISM/Christian Schneider
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