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Einige Namen von den "Judenlisten"

DOKUMENTATION / NOVEMBER-POGROM (1)

07/11/13 Erinnerung tut wohl Not – wurden doch eben erst in Salzburg einige Stolpersteine mit Namen von Juden, die in der Nazi-Zeit umgekommen sind, beschmiert. Genau 75 Jahre ist das November-Pogrom her. Der Historiker Gert Kerschbaumer hat einige Fakten und Menschenschicksale zusammengeschrieben: eine zeitgeschichtliche Spurensuche.

Von Gert Kerschbaumer

019Frau Anna Pollak, eine gebürtige Salzburgerin, lebte 65 Jahre in ihrer Geburtsstadt, im „Faberhaus“ Rainerstraße 4, wo sich auch ihr Geschäft befand, das in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 demoliert wurde. Die Jüdin wurde noch im November 1938 aus Salzburg vertrieben, von ihrem Fluchtort Wien nach Theresienstadt deportiert und im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

Anna Pollak war eines der rund 190 jüdischen Kinder, die in den sieben Jahrzehnten vor dem Gewaltjahr 1938 in Salzburg geboren worden waren. Zu beachten ist, dass die jüdischen Kinder mehrheitlich, etwa 75 Prozent, in der Zeit der Monarchie Österreich-Ungarn zur Welt kamen. In den 1930er Jahren werden wenige Geburten registriert, die letzte am 24. September 1933: Ernst Grün, ein Kind der Rechtsanwaltsfamilie Dr. Grün. Im Jahr 1938 lebten kaum mehr als 40 Prozent der in Salzburg geborenen Jüdinnen und Juden in Salzburg. Einige sind in den Jahrzehnten davor gestorben, die meisten aber weggezogen, haben hier keine Zukunft für sich gesehen, zum Beispiel Walter Weinstein, am 25. April 1903 geboren und in Salzburg nach österreichischem Recht heimatberechtigt, ein Schneidermeister und Zionist, der den Antisemitismus in Salzburg nicht mehr ertragen wollte, am 28. August 1935 nach Palästina emigrierte und nie mehr zurückkehrte.

Von offizieller Seite gab es zu keiner Zeit eine Einladung zur Rückkehr der Vertriebenen. Als der gebürtige Salzburger Walter Weinstein nach 40 Jahren, also im Jahr 1975, beim Opferfürsorgereferat in Salzburg einen Antrag auf Entschädigung stellte und zugleich um eine Bestätigung seiner Emigration bat, bekam er amtlicherseits zu hören: „Ergänzend zur Anfrage wird weiters mitgeteilt, dass sich befragte, ältere, gebürtige und ortsansässige Salzburger nicht erinnern können, dass bereits im Jahr 1935 ein antijüdischer Druck – wie Sie Ihre Ausreise bezeichnen – stattgefunden hat. Die beantragte Bescheinigung der Emigration kann daher nicht ausgestellt werden.“

020Was gebürtige Salzburger in der Ferne zeitlebens konnten, das wollten gebürtige Salzburger als ortsansässige Augen- und Tatzeugen nicht: sich erinnern, zum Beispiel an die „Judenlisten“ mit Boykottaufrufen, die seit den 1920er Jahren in der antisemitischen Presse erschienen und in „arischen“ Geschäften auflagen. Ein Salzburger Kaufmann inserierte noch am 15. März 1938: „Achtung! Bei mir liegt zur Einsicht eine Judenliste von Salzburg auf. Hans Mösel …“.

Der Denunziant und Judenhasser Mösel, unweit der im November 1938 in der Linzer Gasse devastierten jüdischen Geschäfte beheimatet, avancierte zum NSDAP-Ortsgruppenleiter mit Sitz im Faberhaus Rainerstraße 4, wo die Familie Bonyhadi, Anna Pollak und andere Vertriebene gewohnt hatten. Im antisemitischen Salzburg galten die Faber- und Hellerhäuser aus der Gründerzeit schon wegen ihrer Bauherren als „Judenhäuser“. Unter dem NS-Regime etablierten sich dort mehrere nationalsozialistische Organisationen.

Wer lesen konnte, der war auch gewarnt und flüchtete, ehe der schwelende Antisemitismus in offenen Terror umschlug: Die Rechtsanwaltsfamilien Dr. Pollak und Dr. Grün mit ihrem erst vierjährigen Kind Ernst verließen Salzburg schon am 12. März 1938, Ankunft im September desselben Jahres in Südamerika. Derweilen wurden ihre beiden Häuser in Salzburg beschlagnahmt, von SS und SA okkupiert.

Bekannte Gewaltmaßnahmen wie Vermögenserklärungen, Kontensperren, Reisepässe mit „J“-Stempel, Kennkarten mit vorgedrucktem „J“ und den Zwangsvornamen „Israel“ und „Sara“ hatten zum Ziel, Vertreibung und Raub zu beschleunigen.

Am 25. Oktober, demnach zwölf Tage vor der offiziellen „Ursache“ der November-Pogrome, dem Attentat eines Juden in Paris, bekam das KZ Dachau den Auftrag, 5000 Häftlingskleider mit Judensternen zu nähen. Geplant war also eine Massendeportation. Die Salzburger Polizei erstellte aktuelle Listen, „Judengeschäfte“ und „Judenwohnungen“, datiert mit 15. Oktober 1938, samt Vermerk für den Sicherheitsdienst der SS, auf Hausbesitzer und Vermieter Druck auszuüben, die jüdischen Mieter unverzüglich zu kündigen, datiert mit 26. Oktober 1938, zwölf Tage vor dem Attentat am 7. November, wie schon erwähnt.

Die aktuellen Judenlisten dienten der Gestapo, der SS und dem SD (Sicherheitsdienst der SS) zu ihrem penibel geplanten Pogrom in der Nacht vom 9. zum 10. November. Zu diesem Zeitpunkt war Walter Schwarz, Geschäftsleiter des Kaufhauses S. L. Schwarz am Alten Markt, bereits tot, befanden sich Hermann Rubenkes oder Leopold Weiner schon im KZ Dachau und über 60 Familien oder Singles in ihren Fluchtorten außerhalb Salzburgs: Sie stehen daher nicht in den aktuellen Judenlisten. Wo ein Jude gerade wohnte, das wusste die Polizei anhand ihres Melderegisters: zum Beispiel Isidor Fuchs, der mit seiner Familie in Salzburg, Elisabethstraße 1 gemeldet war, dort schon im Mai 1938 delogiert wurde. Er wohnte bis zum November 1938 bei seinem Kompagnon und Schwager Manfred Bonyhadi in Salzburg, Franz-Josef-Straße 8. Ein Blick in das Melderegister genügte also. So liefen die Verhaftungen der Salzburger Juden am 10. November wie geschmiert. Es galt, mindestens 40 Wohnungen, darunter Häuser und sonstiges „Volksvermögen“ an Gestapo-, SS-, SD- und Parteileute sowie an ihre Günstlinge in Salzburg zu verteilen – ein Gerangel, das keinesfalls reibungslos verlief. (Wird fortgesetzt)

Am 75. Jahrestag der November-Pogrome und angesichts der aktuellen Wiederbetätigung in Salzburg gedenkt man aller Shoah-Opfer und Vertriebenen – am Samstag, dem 9. November 2013 um 17 Uhr mit „Lichtern der Erinnerung“ bei ausgewählten Stolpersteinen, um 18 Uhr vor dem ehemaligen Kaufhaus S. L. Schwarz am Alten Markt und um 19 Uhr in der Synagoge, Lasserstraße 8.

Gert Kerschbaumer ist Mitglied des Personenkomitees Stolpersteine-Salzburg und des Projektes Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus

Bilder: Stadtarchiv Salzburg/Fotoarchiv Franz Krieger (1); Komitee Stolpersteine Salzburg (1)

 

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