„Vorwärts mit Mozart für Deutschland“
HINTERGRUND / STIFTUNG MOZARTEUM
03/03/22 Internationale Stiftung Mozarteum? Mit „International“ war's vorbei nach dem Anschluss. Das Wort wurde kurzerhand aus dem Namen getilgt. Nationalsozialismus und „international“ vertrugen sich nicht. – Erstaunlich eigentlich, dass die Geschichte der Stiftung in diesen Jahren erst in den letzten Jahren genauer in den Blick genommen wurde. Im Verlag Pustet ist ein dickleibiges Buch dazu erschienen.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Stiftung Mozarteum sei, so das Salzburger Volksblatt, „selbstverständlich eine deutsche und nicht eine internationale Stiftung“. Das war dort im Jahr 1941 zu lesen – im Gedenkjahr zu Mozarts 150. Todestag – mitten im Krieg. Obendrein stand damals die 100-Jahrfeier der Stiftung, einst gegründet als Dommusikverein und Mozarteum, an.
Nach dem Anschluss hatten die Nazis augenblicklich einen der Ihren zum Stiftungspräsidenten gemacht, den Salzburger Rechtsanwalt und NS-Landesstatthalter Albert Reitter. Der wusste, was Hitler zu einem Jubiläum hören wollten: „Kunst und Kultur“, so Reitter ganz im Sinne der aktuellen Doktrin, seien keine „abseitigen Sphären“, die nichts mit Politik zu tun hätten. Reitter betonte im Gegenteil, dass Kunst und Kultur „heute Aufgaben der Nation und ihrer politischen Führung“ seien. Mit dem Ruf „Vorwärts mit Mozart für Deutschland“ beendete er damals seine Festrede. Und Erich Valentin, damals Generalsekretär der Stiftung Mozarteum, versicherte den Teilnehmern am Festakt, die Institution sei „vom bürgerlichen Gedanken … hinausgewachsen zu dem völkischen“. Valentin erhielt übrigens 1971 die Mozartmedaille durch die Mozartgemeinde Wien...
Das Gruseln kommt einem unwillkürlich. Die beiden Herausgeber, Univ.-Prof. Oliver Rathkolb und Priv.-Doz. Alexander Pinwinkler, haben in dem mehrjährigen Forschungsprojekt mit Wissenschaftern von der Stiftung deren Eigenbestände und unzählige andere Quellen durchgeackert. Bemerkenswert: „Erstmals erschlossen und ausgewertet wurden mehr als 16.000 Seiten an Archivmaterial aus dieser Zeit aus dem Archiv der Stiftung Mozarteum.“
Die bisherigen Nachkriegs-Geschichtsschreiber hatten sich durchwegs mit wenigen Sätzen um diese Ära herumgeschwindelt. Noch im 2005 erschienenen Salzburger Mozart-Lexikon, wo die Historie der Stiftung in fünf Spalten abgehandelt ist, heißt es nonchalant: „1938 bekam die ISM eine kommissarische Verwaltung, das Wort 'Internationale' wurde gestrichen.
Nach dem Krieg nahm man die Geschäftie bald wieder auf.“ Keine Rede von „kommissarischer Verwaltung“. Albert Reitter habe, so Oliver Rathkolb, als neu eingesetzter Stiftungs-Präsident die Einrichtung nach dem „Führerprinzip“ autoritär organisiert.
„Präsident Reitter wies der Stiftung Mozarteum eine besondere Rolle in der NS-Kulturpolitik zu, die weit über Salzburg hinaus ausstrahlen sollte.“ Sie strahlte, und – das ist das wirklich Interessante an diesen umfänglichen Darstellungen – manches wirkte unendlich lange und sagenhaft unhinterfragt nach. In diesen problematischen Jahren wurde, eben ganz und gar nicht ohne ideologische Absicht, das „Zentralinstitut für Mozartforschung“ gegründet.
Und so hieß die Wissenschaftsabteilung der Stiftung noch bis ins 21. Jahrhundert hinein, bis 2003 (!), ohne dass das jemals jemand hinterfragt hätte. Hitler hat der Stiftung übrigens die Finanzierung einer neuen Mozart-Ausgabe in Aussicht gestellt, zu der es dann doch nicht kam, wie Ulrich Leisinger in seinem Beitrag analysiert.
Von einem „überdurchschnittlich angepassten Verhalten führender Akteure und Mitarbeiter der Stiftung während des NS Terrorregimes“ ist im Klappentext die Rede. Die Stiftungs-Geschichte wird in dem Buch an den handelnden Menschen festgemacht, und zwar keineswegs nur an jenen der unmittelbaren Nazi-Jahre. Erhellend ist die Verortung „in einem konkreten Milieu innerhalb des Salzburger Bürgertums, das politisch-kulturell meist deutschnational orientiert war“, wie die beiden Herausgeber erklären.
„Eine überschaubare Anzahl von individuellen Akteurinnen und Akteuren und einzelnen Familienkonfigurationen prägte die Stiftung längerfristig über alle politischen Brüche hinweg. Geänderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen suchten sich diese Akteure jeweils anzupassen, wobei sie eine relativ klar definierte musikpolitische Agenda vertraten.“
Die Antisemiten und Deutschnationalen sind jedenfalls nicht erst mit dem Anschluss prägend in Erscheinung getreten. Die Stiftung als bürgerlicher Verein ist da ein Spiegelbild der politischen Stimmung in diesen Kreisen. Freilich: Assimilierten, evangelisch gewordenen Juden – die Sängerin Lilli Lehmann beispielsweise – begegnete man in den 1930er Jahren zuerst noch durchaus mit Hochachtung. „Die Stiftung leitete aber die geistige Selbstprovinzialisierung ihrer nach wie vor international wirksamen Aktivitäten bereits vor 1938 während der austrofaschistischen Zeit Österreichs ein.“
Und dazu kamen Leute von außen, beispielsweise Erich Schenk, der politischen Schlagseiten für sich und seine Profilierung zu nutzen wusste. „Zur Selbstinszenierung von Erich Schenk in Salzburg und Wien“ ist das Kapitel überschrieben, das Christoph Großpietsch zum Buch beigetragen hat. Schenk war – um es etwas überspitzt zu sagen – für die österreichische Musikwissenschaft in etwa das, was Heinrich Gross im Bereich der Psychiatrie war: eine auch nach dem Krieg weitum anerkannte unangefochtene Größe. Gut, dass man als Musikwissenschafter im Namen Mozarts keine Experimente mit Todesfolge an Kindern machen konnte...
Für den Stiftungs-Präsidenten Johannes Honsig-Erlenburg steht das neue Buch mit seinen vielen fundierten Beiträgen erst am Beginn einer Reihe von Hausaufgaben, die der Institution noch bevorstehen. Provenienzforschung tut nämlich auch in der Bibliotheca Mozartiana Not, das haben die Recherchen von Armin Brinzing für dieses Buch eindeutig ergeben.
Als die Erzabtei St. Peter und das Stift Michaelbeuern von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, haben die damaligen Akteure der Stiftung ja so manche Handschrift – nicht nur vom Genius loci – für sich gesichert (um es vornehm auszudrücken). Das hier abgebildete Notenblattt (Ausschnitt) kommt aus der Sammlung von Stefan Zweig. Bemerkenswert: Die Wissenschafter der Stiftung haben für dieses Buch ihre jeweils eigenen Bereiche durchforstet, äußerst gründlich und, wie eine logischerweise fürs Erste nur oberflächliche Durchsicht vermuten lässt, ohne alle Beschönigung. Die Stiftung meint es wirklich ernst mit der Aufarbeitung dieser dunklen Epoche.
Die Internationale Stiftung Mozarteum und der Nationalsozialismus. Politische Einflüsse auf Organisation, Mozart-Forschung, Museum und Bibliothek. Hrsg. von Alexander Pinwinkler und Oliver Rathkolb, im Auftrag der Internationalen Stiftung Mozarteum. Anton Pustet Verlag Salzburg 2022 – 456 Seiten 49 Euro – www.pustet.at
Bilder: ISM-Archiv-Fotosammlung (5); Bibliotheca Mozartiana (1)
Zur Leseprobe Wie es weiterging mit dem „deutschen“ Mozart