Grüne Kultur-Ideen, schwarze Realität
HINTERGRUND / KULTURPOLITIK / STADT
27/01/22 Das Leitbild Kultur:Leben:Räume wurde „aus der Mitte der Gesellschaft heraus entwickelt“, in einem breiten Beteiligungsprozess und gemeinsam mit Salzburgs Künstlern, Künstlerinnen und Kulturschaffenden. Daran erinnert der Kultursprecher der Bürgerliste, Markus Grüner-Musil. Er bezweifelt den guten Willen der ÖVP-dominierten Stadtregierung.
Mit dem neuen Leitbild unternimmt man den Versuch, über den klassischen Kunst- und Kulturbegriff hinauszudenken. „Dieser neue Kulturbegriff versteht sich viel mehr als Stadtentwicklungsplan, der das Zusammenleben der Menschen in das Zentrum stellt“, sagt Grüner-Musil. In dem Papier würden „wichtige Fragen der Raumordnung, der Nutzung des öffentliches Raums, der Fusion von Wohn- und Arbeitsraum, eine Wende in der Mobilitätspolitik, Leitlinien der Baukultur, Nachhaltigkeit und Ökologie“ angesprochen.
Das alles in einem Kulturleitbild? „Dieser weite Kulturbegriff ist ein sehr kluger Zugang für eine neue Politik in der Stadt. Wir müssen uns kulturpolitisch mehr um die Frage des Zusammenlebens in unserer Stadt kümmern und nicht primär um Auslastungszahlen von Kultur-Tourismus-Betrieben." Die Perspektive der Kultur eigne sich dazu besonders, „weil sie freier und mutiger mit Zukunftsthemen“ umgehe.
Die Rahmenbedingungen für Kulturschaffende und Kultureinrichtungen stehen am Anfang, Stichwort „fair pay". Ob das seitens der Stadt wenigstens 2023 klappt? Derweilen gibt es keine Signale in diese Richtung.
Das Problem der Räume tauche in unterschiedlichen Themenfeldern auf, erklärt Markus Grüner-Musil. „Beginnend beim Wohnraum, der auch für Künstler, Kreative und Studierende immer weniger leistbar ist, bis zu Arbeitsräumen, Ateliers, Probenräumen, Werkstätten: Raum, egal ob Innenraum oder öffentlicher Raum, wer ihn nutzen kann und wie er genutzt werden kann, das sind zentrale Fragen, auch für die Kultur in Salzburg. Die Aktivierung des Leerstandes muss endlich politische Priorität bekommen.“
„Mehr Lebensraum und weniger Verwertungsraum im Weltkulturerbe“, sprich: eine Reaktivierung der Altstadt für die Bewohner stünde ebenso auf der Agenda wie die Wertschätzung und die Förderung von Studierenden in Salzburg. „Aktuell behandelt Salzburg seine Studierenden als Menschen zweiter Klasse“, befindet Grüner-Musil.
Ein weiteres Stichwort ist Diversität, also eine uneingeschränkte Teilhabe am kulturellen wie politischen Leben. Forderungen wie offene kulturelle Stadtteilzentren, das Zusammenspiel von jungen kreativen Wirtschaftstreibenden und Kultur, offene Kulturräume in stark verdichteten Wohngegenden, Orte des sozialen Miteinanders: „Das Kreativzentrum Rauchmühle in Lehen West hätte all diese Aspekte vereint. Es zeigt sich, wie kurzsichtig die Entscheidung von Bürgermeister Preuner war und ist, dieses Projekt im Mai 2019 zu versenken.“
Die zivilgesellschaftliche Basis, die für die wesentlichen Ideen dieses Leitbilds verantwortlich zeichnet, zeige auch im Kapitel über die kulturelle Entwicklung des Zentralraums. Wie also sollen Themen wie Mobilitätswende, Nahraumqualität, Aufwertung von Grünraum sowie die Teilhabe am öffentlichen Raum behandelt werden.
Markus Grüner-Musil lobt das Engagement und das Know-How vieler hundert Menschen, die sich beim Erarbeitungsprozess in den vergangenen zwei Jahren mit eingebracht haben, im Besonderen bei der Initiative Salzburg 2024. „Die Auflistung der Beteiligten im Endbericht zeigt wie breit die zivilgesellschaftliche Basis in Salzburg ist und wie breit der Rückhalt für diese Vision für unsere Stadt ist.“
Und was jetzt? Das Papier treffe nun „auf politische Gremien und einen Salzburger Gemeinderat, dominiert von der ÖVP, in denen seit der Wahl 2019 mehrheitlich konservativer Stillstand herrscht“, argwöhnt Grüner-Musil. „Im heutigen Kulturausschuss hat die ÖVP Klubberatung beantragt. Das neue Kulturleitbild wird damit aller Voraussicht nach auf der Tagesordnung der Gemeinderats-Sitzung im März stehen. Es wird spannend zu sehen, ob sich die Preuner-ÖVP zu diesem wegweisenden Leitbild für die Kultur durchringen kann.“ Keine Mitbestimmung der Bürger in der Frage der Erweiterung der Mönchsberggarage – darin sieht der Bürgerlisten-Politiker kein gutes Omen. „Es riecht förmlich nach der Angst vor den Menschen, die die Zeichen der Zeit in unserer Stadt erkannt haben."
Grüner-Musils Skepsis teilt übrigens sein SPÖ-Kollege Bernhard Auinger. Der Vizebürgermeister hat sich jüngst in einer anderen Causa zu Wort gemeldet. Mit Ende März geht nämlich Ingrid Tröger-Gordon, die Leiterin der Kulturabteilung der Stadt, in Pension. Neun Wochen davor ist der Posten noch nicht mal ausgeschrieben. Der Bürgermeister hat es, was die Kultur angeht, nicht eilig. (Bürgerliste/dpk-krie)