999 und zwei Millionen
HINTERGRUND / SALZBURGER ADVENTSINGEN
30/09/21 „Das Salzburger Adventsingen im Großen Festspielhaus gehört zur kulturellen DNA des Landes wie sein sommerliches Pendant, der Jedermann auf dem Domplatz“, sagt Hans Köhl, der seit der Jahrtausendwende, also auch schon wieder über zwei Jahrzehnte, die Traditionsveranstaltung leitet. Heuer wird das Adventsingen 75 Jahre alt.
Von Reinhard Kriechbaum
„Beide Salzburger 'Originale' erfreuen alljährlich beinahe gleich viele Menschen.“ Am Ende des diesjährigen Jubiläums-Adventsingens wird es, sofern alles unbeirrt von Corona über die Bühne läuft, 999 Aufführungen des Salzburger Adventsingens gegeben haben. „Dann startet das Adventsingen 2022 mit der eintausendsten Aufführung und durchbricht damit eine fiktive Schallmauer, die in diesem Genre wohl einzigartig ist“, rechnet Hans Köhl vor. Zum Vergleich: Der Jedermann brachte es in hundert Jahren auf etwas über 730 Aufführungen.
Weil wir schon beim Nachzählen sind: Seit 2007 verkörpert Bernhard Teufl als Schauspieler und Sänger (Tenor) in unterschiedlichsten Inszenierungen die Rolle des „Josef“. 2019 hatte er seinen 200. Auftritt (im Vorjahr ist das Adventsingen ja pandemiebedingt ausgefallen). Die Langzeit-Maria Simone Vierlinger wäre diesen Dezember ebenfalls zum 200. Mal auf der Bühne gestanden. Sie ist aber schwanger und mag sich nicht gegen Corona impfen lassen, also wird sie durch Eva Maria Schinwald ersetzt (wir berichteten).
Allerlei ist „rund“ heuer: Seit zwanzig Jahren steht Herbert Böck, Leiter des Wiener Jeunesse-Orchesters und Professor für Chor- und Ensemble-Dirigieren am Mozarteum, am Pult des Adventsingens. Ebenso lange frettet sich Dietmar Solt als Bühnenbildner mit der schmalen Bühnenfläche zwischen Eisernem Vorhang und Orchestergraben ab. Auch Burgi Vötterl ist zwanzig Jahre dabei, als Leiterin des Salzburger Volksliedchors, dieser aber ist schon seit einem halben Jahrhundert eingebunden ins Adventsingen.
Aber eigentlich rechnet man in anderen Zeit-Dimensionen. Böse Zungen behaupten ja: Echter Salzburger ist man nur mit Hiatabua-Vergangenheit beim Adventsingen, so wie zu einem echten Wiener eine Karriere als Sängerknabe und Lipizzaner gehört. Markus Helminger löst das gewiss ein. Vor 49 Jahren war er das erste Mal Hirtenkind, da hatte noch der alte Tobi Reiser das Sagen. Dann war er Sänger und Schauspieler, und seit vielen Jahren ist er der „Chef“ der Hirtenkinder-Betreuer.
Gar schon 56 Jahre ist Felix Reinhard Leitner dabei. Für viele Jahre – bevor man die solistischen Rollen professionellen Schauspielern und Sängern anvertraute – war er der Wirt, der dem Herberge suchenden Paar die Tür vor der Nase zuschlägt. Jetzt singt er Bass im Volksliedchor.
Kontinuität ist ein Adventsingen-Merkmal. Deshalb brachte es die Veranstaltung in 75 Jahren auch nur zu drei Leitern, dem Gründer Tobi Reiser (1946-1973), seinem Sohn Tobias (1974-1999) und seit 2000 Hans Köhl. Die Funktion ist seit je her mit dem Chefposten im Salzburger Heimatwerk verknüpft, das als Veranstalter fungiert.
Ähnliche Beständigkeit auch auf musikalischer Seite: Vor allem, als Tobias Reiser das Adventsingen zu stattlichen „szenischen Oratorien“ umformte, wurde der Orff-Schüler Wilhelm Keller zum „Hauskomponisten“ (bis 1999). Seither sind Klemens Vereno und Shane Woodborne jene Komponisten, die für eine plausible Verbindung neuer Liedkantaten mit traditioneller Volksmusik sorgen. Das Wort „Tradition“ ist sowieso vorsichtig zu gebrauchen. Vieles von typischen Adventsingen-Sound (vor allem die Saitenmusik mit Hackbrett) hat Tobi Reiser ja erst quasi erfunden. Shane Woodborne ist heuer der Komponist des Jubiläums-Stücks mit dem Titel Fürchte dich nicht.
Eine Furcht haben Wirtschaftsstudien über die positiven Auswirkungen des Salzburger Adventsingens so und so zerstreut: dass nämlich die Besucherinnen und Besucher ohne Herberge dastünden wie Maria und Josef in Bethlehem. Salzburgs Gastronomie und Hotellerie erfährt durch Adventsingen-Gäste eine Bruttowertschöpfung von 4,07 Millionen Euro. Der Einzelhandel fährt zusätzlich 3,01 Millionen Euro ein, die Freizeitwirtschaft 2,29 Millionen. Alles in allem also ein zusätzliches Bruttoregionalprodukt von 10,05 Millionen Euro. Das Adventsingen sorgt für 130 Jahresvollzeit-Arbeitsplätze, und das spült 2,89 Millionen Euro in den Steuertopf.
Adventsingen-Premiere ist am 26. November im Großen Festspielhaus, Aufführungen bis 12. Dezember, Samstag und Sonntag 14 und 17 Uhr – www.salzburgeradventsingen.at
Bilder: dpk-krie (1); Salzburger Adventsingen (2)
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