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Von Opportunisten und Hardlinern

STRASSENNAMEN / HISTORIKERBERICHT

08/06/21 „Erklärungsbedürftig“ nennt es der Historiker Gert Kerschbaumer, dass etwa Hans Pfitzner und Heinrich Damisch trotz ihres Antisemitismus in Salzburg öffentliche Würdigung erfahren, während Künstlerinnen wie Helene Thimig oder Margarete Wallmann, denen die Festspielstadt internationale Strahlkraft verdankt, auf Straßenschildern nicht existieren.

Gert Kerschbaumer ist einer aus jenem neunköpfigen Fachbeirat, der sich seit 2018 mit jenen Straßen in der Stadt Salzburg beschäftigt, deren Namensgeber in die NS-Zeit verstrickt sind. Eine Reihe von Namen ist ja schon in den letzten Tagen durchgesickert. Heute Dienstag (8.6.) wurde der Historikerbericht – ein bemerkendswertes Konvolut in einem Umfang von 1.100 Seiten – offiziell vorgestellt. 66 Biographien hat der Fachbeirat unter die Lupe genommen und in drei Kategorien eingeteilt.

Für Straßen und Plätze, die nach Leuten aus der Gruppe III benannt sind, ortet der fachbeirat „Handlungsbedarf“. Die Sache ist insofern pikant, als diese dreizehn Personen mehrenteils wirklich prominent waren und sind.

Der heikelste Fall ist natürlich Herbert von Karajan, und der spaltete die Historiker-Kommission gehörig. Vier der neun Wissenschafter hätten ihn lieber in der Kategorie II gesehen, aber fünf votierten für die Kategorie III.

Es ist ja aufschlussreich, dass auch das Abstimmungsverhalten der Historiker veröffentlicht wurde. Bei den meisten der dreizehn schwer Belasteten bestand absolute Einigkeit. Dazu rechnen der Volkskundler und Obmann des Landestrachtenverbandes Kuno Brandauer, der Musikschriftsteller und Mitbegründer der Salzburger Festspiele Heinrich Damisch, der Schriftsteller und Maler Erich Landgrebe, der Komponist und Dirigent Hans Pfitzner, der Konstrukteur Ferdinand Porsche, der Volksmusikant und Kulturfunktionär Tobias Reiser, die bildenden Künstler Josef Thorak und Gustav Resatz sowie der Musikwissenschafter Erich Schenk.

Jeweils eine Gegenstimme im Gremium gab es für den Domorganisten und Mozarteums-Professor Franz Sauer, den Kunsthistoriker Hans Sedlmayr und den Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl. „Alle Fachbeiratsmitglieder haben alle Biografien gelesen und intensiv diskutiert“, erklärt Sabine Veits-Falk. „Nur so konnten die individuellen Verstrickungen in das NS-System zueinander in Beziehung gesetzt und dann den Kategorien zugeordnet werden.“

In welcher Größenordnung haben es eigentlich Sympathisanten mit dem Nationalsozialisten zu Straßennamen-Ehren gebracht? Stadtarchiv-Leiter Peter Kramml weist darauf hin, dass von allen 1.156 Straßen, Parks, Plätzen, Brücken und Stegen der Stadt Salzburg 566 nach Einzelpersonen benannt seien. Das Stadtarchiv habe davon 201 Menschen eruiert, die in der NS-Zeit gelebt hätten. 66 seien Parteimitglieder, Parteianwärter oder in hohem Maße in das NS-System verstrickt gewesen.

Kulturamtsleiterin Ingrid Tröger-Gordon hatte den Vorsitz im Fachbeirat, Mitglieder waren Landesarchivdirektor Oskar Dohle, Historiker-Doyen Ernst Hanisch, Stadtarchiv-Historiker Johannes Hofinger, NS-Experte Gert Kerschbaumer, Stadtarchiv-Leiter Peter F. Kramml, Universitätsdozent Alexander Pinwinkler, die Stadtarchiv-Historiker Sabine Veits-Falk und Thomas Weidenholzer.

Was sollte nun geschehen – und wie geht es politisch weiter? In einem Presssegespräch heute Dienstag (8.6.) zitierte Beirätin Sabine Veits-Falk aus dem Bericht: Bei den dreizehn oben Genannten bestehe „aufgrund der gravierenden NS-Verstrickung Diskussions- und Handlungsbedarf“. Und es sei „zu klären, ob mit einer Erläuterungstafel, dem ausführlichen Eintrag im digitalen Stadtplan (www.stadt-salzburg.at/strassennamen) und der biografischen Darstellung auf der NS-Homepage (www.stadt-salzburg.at/ns-projekt) das Auslangen gefunden wird – oder eine Umbenennung in Erwägung gezogen werden“ solle. 24 Personen hat man in die Kategorie I eingeordnet und empfiehlt für sie Hinweise auf die NS-Verstrickung im digitalen Stadtplan und auf der Homepage. Zusätzliche Erläuterungstafeln vor Ort wünscht sich die Kommission für die 29 der Kategorie II zugeordneten Personen.

Ernst Hanisch: „Wir haben als Staatsbürger unsere Empfehlungen ausgesprochen.“ Am Ball ist nun die Politik. „Im Herbst wird er dann politisch diskutiert“, kündigt Kulturressortchef Vizebürgermeister Bernhard Auinger an. „Die Politik wird abwägen müssen, was jemand für die Stadt geleistet hat und wie sehr er in die NS-Zeit verstrickt war.“ Auinger kann sich „vorstellen, auch die betroffene Bevölkerung einzubinden“. Es ist also de facto alles so offen wie eh und je.

Die Arbeit des Fachbeirats berücksichtige den neuesten Forschungsstand, die Ergebnisse basierten auf eingehenden Recherchen in nationalen und internationalen Archiven, hieß es im Pressegespräch. Der Historiker Johannes Hofinger: „Die Quellen sprechen lassen. Das galt es in der Erarbeitung der Biografien umzusetzen. Umfangreiche Recherchen in Salzburger, österreichischen und deutschen Archiven brachten bislang unbekannte Dokumente zu Tage. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Schriftstücken führte zu grundlegenden neuen Erkenntnissen und kratzte an manch lieb gewordenen Mythen über das Leben jener Menschen, nach denen in der Stadt Salzburg Straßen benannt sind.“ Manche Fehlinformationen über einzelne prominente Personen – wie etwa über Herbert von Karajan – hätten ausgeräumt werden können, aber auch die bislang unbekannt gebliebene Involvierung einzelner Straßennamen-Geber in die menschenverachtende Politik des Nationalsozialismus sei aufgedeckt worden. Mit der Ausführlichkeit der biografischen Rekonstruktionen gehe Salzburg über ähnliche Projekte in Wien oder Graz hinaus.

Landesarchivdirektor Oskar Dohle erklärt dazu: „Gemäß dem Grundsatz, dass Historiker urteilen, aber nicht verurteilen sollten, war es Anliegen des Fachbeirates die Verstrickung der einzelnen Personen in das NS-Regime ‚lediglich‘ wissenschaftlich fundiert darzustellen. Ein Aufwiegen mit ihren Verdiensten für die Stadt Salzburg nach 1945, die zu Straßenbenennungen führten, konnte daher nicht Aufgabe des Beirates sein. Die Schlüsse aus den Ergebnissen der Arbeit um konkrete Schritte einzuleiten, ist daher Aufgabe der Politik.“

Thomas Weidenholzer vom Stadtarchiv: „Die intensive Arbeit an den Biografien so vieler hat gezeigt, wie stark unsere Eltern- und Großeltern-Generation in den Nationalsozialismus involviert war. Diese Arbeit hat aber auch gezeigt, wie mächtig die Verführungskraft von Macht, allzumal verbrecherischer Macht, ist. Opportunismus, direkte Nutznießung und Bequemlichkeit hatte viele wegschauen oder mitmachen lassen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind zerbrechliche Güter. Und die Lockungen der Macht gibt es auch heute.“ (InfoZ/dpk-krie)

Der komplette Bericht (Teil A Ergebnisse und Teil B Biografien) mit fast 1.100 Seiten ist auf www.stadt-salzburg.at/ns-projekt abzurufen
Bilder: Stadt Salzburg /Johannes Killer

 

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