Ins Wirtshaus ja, zur Chorprobe nein
HINTERGRUND / KULTUR UND KREATIVITÄT
03/05/21 Zweitausend „Schlüsselkräfte“ haben eine Covid-Impfung bekommen, und jetzt sind sogar 1.500 Feuerwehrleute (solche über fünfzig) dran. Denkt eigentlich jemand an Künstlerinnen und Künstler? Als unlängst eine zweistellige Zahl an Impfdosen an Wiener Philharmoniker ging, führte das zu nachhaltiger Stimmung, innerhalb der Kulturszene wohlgemerkt. Der Neid ist ein Hund.
Von Reinhard Kriechbaum
Tatsache ist: Wie der Impfstoff verteilt wird, ist eine politische Entscheidung, noch dazu eine, die weitgehend in den Bundesländern (mit unterschiedliche Schwerpunkten) fällt. Selbst Salzburg, das mit Kultur und damit verbundenem Tourismus wesentlich nachhaltigere Wirkung geriert als mit Industrie, tut für die Kultur in Sachen Corona-Impfung so gut wie nichts. Nur für die Festspiele sind ein paar Impfdosen abgefallen.
Die Kultur hat ganz wenig Lobby. Und je mehr sie in die Breite geht – Stichwort Chor- und Blasmusikwesen oder Amateurtheater – umso schwerer fällt es offenbar, „nach oben“ vorzudringen mit den Anliegen. Nach dem Österreichischen Chorverband und den Kollegen der Blaskapellen haben dieser Tage auch die Salzburger Landesverbände nebst den Brauchtumsvereinen der Stadt Salzburg die Stimme erhoben. Deren Mitglieder werden nicht nur nicht geimpft – es bleibt ihnen, wie es derzeit aussieht, auch nach dem 19. Mai die Betätigung schlicht untersagt. Also: Ins Wirtshaus schon, aber zur Chorprobe nein.
Das Pech all der von Profis oder Amateuren betriebenen Kultur: Sie kann nicht mithalten gegen die Wirtschaft oder gegen Sympathieträger wie Bergrettung (schon lange geimpft) oder Feuerwehr. Zur allgemeinen Bevorzugung der Wirtschaft passt ganz gut ein Video, das die Rektorinnen und Rektoren der Kunstuniversitäten in Sachen Kunstuniversitäten und Gestaltungskraft veröffentlicht haben. Zum wiederholten Mal urgieren sie eine Stärkung ihrer Einrichtungen, denn „gerade Zeiten des Umbruchs verlangen mehr als technisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen“. Die Kunstuniversitäten förderten die benötigte kreative gestalterische Kraft wie sonst keine Bildungseinrichtung. Deshalb brauche es eine Investitionsoffensive für Kunstuniversitäten.
Die Covid-Pandemie habe unvermittelt eine drastische Reduktion und Neubewertung des menschlichen Sozialverhaltens erzwungen, so die Rektorinnen und Rektoren. „Wissen bedeutet heute nur mehr dann gestalterische Macht, wenn Individuen die Fähigkeit haben, Daten und Strukturen zu hinterfragen, auf kreative Weise miteinander in Beziehung zu setzen und dadurch neue Kontexte und Realitäten zu erschaffen. Es gilt, die Menschen in die Lage zu versetzen, diese Transformationsprozesse nicht nur zu überstehen, sondern sie mitzugestalten. Bildung ist ein zentraler Schlüssel dafür, eine Verengung des Bildungsbegriffs und eine Fokussierung auf Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) greift aber viel zu kurz.“ Die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit den Künsten sei unverzichtbar, um Veränderung, Mehrdeutigkeit und Ungewissheit als positive Produktivkräfte für die Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft zu sehen. „Wer die Wirkkraft von Kunst einschränkt, gefährdet unsere Gesellschaft“, heißt es in dem Video abschließend.