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Bloß keine Impfung gegen das Theatervirus!

IM WORTLAUT / THEATERINTENDANTEN

23/11/20 Vielleicht ist ja das Briefschreiben auch ein Mittel, sich selbst Mut zu machen. So jedenfalls interpretieren wir den heute Montag (23.11.) veröffentlichten Offenen Brief der österreichischen Intendant*innengruppe. Wenn diese Leute nicht an die Überlebensfähikeit des „Theatervirus“ glauben – wer sollte es dann? Der Mutmacher im Wortlaut.

Das europäische Theater hat über zweitausend Jahre Erfahrung mit Krisen. Pandemien und Kriege haben das Theater der Antike, des Mittelalters, Shakespeares, Calderons, der Stürmer und Dränger, der bürgerlichen Selbstvergewisserung oder der Existentialisten überschattet und begleitet. Und immer hat sich der „Theatervirus“ als ansteckend und überlebensfähig, als im besten Sinne menschlich erwiesen. Deswegen sind wir zuversichtlich, die sogenannte Corona-Krise meistern zu können.

Das Theater ist nicht nur im Schillerschen Sinne „ein Spiegel der Gesellschaft“, ein Ort der gemeinsamen Bewusstwerdung, sondern auch ein Ort solidarischer Erfahrung. Seit der Antike ging es darum, im Mythos Modelle des individuellen Scheiterns und Gefährdungen des Gemeinwesens, der „Polis“, darzustellen und zu durchleben.

Die aktuellen Ereignisse rund um die Pandemie zeigen uns individuelle Schicksale des Scheiterns und ein Gemeinwesen, das aus der Balance und an den Rand der Belastbarkeit gerät. Wir alle machen zum ersten Mal die Erfahrung, dass wir etwas für die Gesellschaft tun können, indem wir nichts tun.

Wir wollen solidarisch sein. Natürlich sind wir ungeduldig und möchten Theater spielen, aber wir wissen, dass es klüger ist, im Moment den Spielbetrieb auszusetzen und unseren Solidarbeitrag zur Reduzierung potentieller Infektionen zu leisten.

Und dennoch: Wir sind bereit, nutzen die vorstellungsfreie Zeit, um Produktionen vorzubereiten, und sind für Sie da, und mit uns all die schattenlosen Wesen unserer Theatercharaktere, denen wir jederzeit Leben einhauchen können.

Das Theater hat die Kraft, unser kollektives Gedächtnis, all das, was es eben ausmacht, „menschlich“ zu sein, zu speichern. In den Theatern der Bundesländer bedienen wir uns aller Sparten des künstlerischen Ausdrucks. Wir möchten auf der ganzen Tastatur der Leidenschaften für Sie spielen. Im Musiktheater arbeiten wir mit der Musik aus vielen Jahrhunderten, um Geschichten zu erzählen und Emotionen zu wecken, im Schauspiel nutzen wir das Potential der menschlichen Sprache und im Tanz ist der Körper unser Instrument für unendliche Ausdrucksformen. Wir arbeiten für alle Generationen mit Modellen der Erinnerung und versichern uns immer der Zeitgenossenschaft.

Theater sind Orte des Austausches über unsere Lebensmodelle, kulturelle Schatzkisten, Orte der Bildung und der Unterhaltung und insofern mehr als reine Freizeitbetriebe. Wir möchten, sobald es vom Infektionsgeschehen her vertretbar ist, unsere Aufführungen spielen dürfen.

Wir tragen Sorge dafür, dass die Präventionskonzepte, die sich an den österreichischen Theatern von August bis Oktober 2020 für 500.000 Besucher*innen bewährt haben, wirksamen Schutz entfalten und sind achtsam in der Arbeitsgestaltung mit unserem Personal.

Der „Theatervirus“ ist stark und gibt uns in seiner über zwei Jahrtausende bewiesenen Überlebensfähigkeit Vertrauen. Wir können auf eine stabile Zukunft der Theater vertrauen, weil wir wissen, dass wir nicht nur in den Herzen und Hirnen unseres Publikums präsent sind und bleiben, sondern auch in der DNA der Kulturnation Österreich fest verankert sind.

Wir sind dankbar, dass sich alle Landeshauptleute der österreichischen Bundesländer und die Bundesregierung zur Kultur bekannt haben und wir Zusagen erhalten haben, dass die Strukturen der kulturellen Institutionen trotz der Krise gesichert sind und auch die freie Kultur Hilfen erhält. All das trägt dazu bei, dass uns der Atem nicht ausgeht.

Wir wissen, dass die nächsten Monate eine Kraftanstrengung sein werden, für uns alle, die Theaterkollektive, das Publikum und die politisch Verantwortlichen. Und trotzdem sind wir zuversichtlich, dass unser Atem länger ist als der des Corona-Virus. Die Erfahrung spricht für uns.

Wir freuen uns auf Sie, bis bald im Theater,

Stephanie Gräve, Intendantin Vorarlberger Landestheater
Iris Laufenberg, Intendantin Schauspielhaus Graz
Marie Rötzer, Intendantin Landestheater Niederösterreich
Nora Schmid, Intendantin Oper Graz
Michael Lakner, Intendant Bühne Baden
Johannes Reitmeier, Intendant Tiroler Landestheater
Hermann Schneider, Intendant Landestheater Linz
Aron Stiehl, Intendant Stadttheater Klagenfurt
Carl Philip von Maldeghem, Intendant Salzburger Landestheater

 

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