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Superlative gefordert?

KOMMENTAR

Von Heidemarie Klabacher 

30/08/19 199 Aufführungen an 16 Spielstätten in 41 Tagen. 270.584 Karten und eine Platzauslastung von 97 Prozent. 31,2 Millionen Euro Ticket-Einnahmen und eine neuerliche Steigerung von drei Prozent. Die Zahlen stimmen. Was soll man da noch lange längst vergossenen Tränen nachweinen?

Was lange herum-bilanzieren nach einem Festspielsommer, der beinah Abend für Abend atemberaubende Konzert-Erlebnisse bescherte. Angefangen bei den Lagrime di San Pietro von Orlando di Lasso am ersten Festspielabend, die auch noch im letzten (besuchten) Konzert zu begeistertem Austausch mit Unbekannten führten: Nach sechs Festspielwochen taufrisch ist die Begeiterung angesichts des Überwältigenden und Singulären des auch vielen Musikkundigen unbekannten Vokalwerks und seiner Interpretation durch Los Angels Master Choral.

Die Kritiken sind geschrieben. Dem Monumentalen und – es sei gesagt – Selbst-Referentiellen eines Solistenkonzerts des verehrungswürdigen Grigory Sokolov stehen inzwischen Solistenkonzerte der nächsten Generation mit Leuten wie Igor Levit gegenüber. Einem Virtuosen, der noch das Bekanneste mit dem faszinierenden Schauer einer Uraufführung vermittelt und der auch das Virtuoseste von allem Circensichen befreit und dessen zugrundeliegenden Gehalt in allen Facetten zur Diskussion stellt.

Dass die ganz Alten den Jüngern und Jungen immer noch zeigen können, wie lebendigste und bewegendste Interpretation (bei modernster Differenzierungskunst) ausschauten kann, dafür steht diesen Sommer, neben dem heute Freitag (30.8.) mit der Siebten Bruckner sein letztes Festpielkonzert leitenden Bernard Haitik, der um zwei Jahre ältere Herbert Blomstedt. Er hat, ebenfalls am Pult der Wiener Philharmoniker mit der Neunten Mahler nichts weniger als einen Markstein der Interpretationsgeschichte gesetzt und – eines der vielen herausragenden Details dieses Sommers – am Pult des Gustav Mahler Jugendorchesters als Partner von Christian Gerhaher für Dvoraks Biblische Lieder die Latte ebenso hoch gelegt.

Dass die Berliner Philharmoniker im Reigen der Gastorchester in Salzburg vorbeischauen, ist Tradition und Tournee-Routine, weniger Salzburger Dramaturgie. Was der neue Chefdirigent Kirill Petrenko mit der Neunten Beethoven versprochen hat, lässt freilich schon jetzt Interpreations-Legenden wachsen. Wie bei den Pianisten spannt sich also auch bei den Dirigenten Faszinierendstes zwischen den Generationen.

Ob man Mythen als Opernstoff jetzt lieber im mythologisch-interpretatorisch Offenen belässt, wie Altmeister Achim Freyer es mit George Enescus Oedipe vorgeführt hat, oder sie in die nüchterne Gegenwart von Hotelzimmer oder Tankstelle holt, wie Simon Stone es mit Cherubinis Médee getan hat: Das ist einfach Geschmackssache. Für einen Kommentator ist Simons Stones Médee-Lesart das Stück dieser Festspiele, das am ehehsten im kommenden Jubiläumsjahr wiederaufgenommen werden sollte. Für den anderen, dazu rechnet sich die Schreiberin dieser Zeilen, steht Simon Stone für genau jenen ernüchternden Zugang, der den Mythos all dessen beraubt, das seine Bedeutung und Allgemeingültigkeit über die Jahrtausende hinweg ausgemacht hat. Die Positionen müssen einander nicht näherkommen. Auch was einen scheinbar befremdet oder fremd zu sein scheint, erweitert den Horizont. Genau darum geht es in Kunst und Kultur. Und auch dafür stehen die Festpiele 2019 in exemplarischer Weise.

 

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