Besserer Mensch werden mit Mozart
FESTSPIELE / WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA (1)
11/08/16 Könnte es sein, dass die Streichbögen des West-Eastern Divan Orchestra um zehn oder fünfzehn Zentimeter länger sind als bei anderen Orchestern? Ein Blick, und die gewagte These ist widerlegt.
Von Reinhard Kriechbaum
Angehört hat es sich aber so. Wenn Barenboim sein West-Eastern Divan Orchestra in Mozart-Stärke antreten lässt, dann ist das immer noch eine Truppe mit zwölf Ersten Geigen am oberen Ende und vier Bassgeigen am unteren. Nicht nur das bedingt eine gewisse, sagen wir: Kompaktheit. Das Abendprogramm am Mittwoch (10.8.) im Großen Saal des Mozarteums war nicht unehrgeizig: Die letzte Symphonien-Trias von Mozart, also Es-Dur, g-Moll und C-Dur „Jupiter“. Mehr darf das Herz nicht wollen, die Ohren wünschten sich deutlich weniger.
Ob jemand, der Mozart spielt, wirklich gescheiter wird, darüber streiten die Wissenschafter (viele halten den „Mozart-Effekt“ für eine unbelegbare Scharlatanerie). Aber dass man ein besserer, ein viel besserer Mensch sogar wird – das wenigstens sollte außer Zweifel stehen. Also hat Daniel Barenboim, der Philanthrop aus Leidenschaft, seinem verdienstvollen orchestralen Friedensprojekt die denkbar höchste Mozart-Latte gelegt. Da kann man gar nicht anders, als das Herz ganz weit aufmachen.
Sonst ist von dem Abend nicht viel zu berichten, außer dass man an diesem Ort die drei Symphonien seit Jahrzehnten nicht so undifferenziert pauschal, mit solch wuchtiger Trostlosigkeit vernommen hat. Barenboim, der joviale Humanist, meint es gut mit den jungen Musikerinnen und Musikern. Er hat sie nicht gegängelt. Er meint es auch gut mit dem Publikum. Die Es- Dur und die g-Moll-Symphonie zusammen auf menschenfreundliche 56 Minuten gepresst, und das bei durchaus moderaten Tempi? Sage keiner, das könne nie und nimmer funktionieren. Man braucht nur die Wiederholungszeichen oft genug übersehen. Nicht nur in einem Scherzo lässen sich auf diese Weise ansehnlich viel Zeit und gestalterische Mühe einsparen.
„In der Kunst zählt der Wille nicht fürs Werk, die Gesinnung nicht für den ästhetischen Anspruch.“ Den schönen Satz sagte der Philosoph Konrad Paul Liessmann heuer bei seiner Festrede zur Festspieleröffnung. Quod erat demonstrandum.