Die Walpugisnacht muss weg, die Hölle braucht's nicht
FESTSPIELE / KÜNSTLERGESPRÄCH / FAUST
05/08/16 Charles Gounods „Faust“ wurde noch nie bei den Salzburger Festspielen gegeben. Reinhard von der Thannen (Regie, Bühne und Kostüme) und Dirigent Alejo Pérez im Gespräch.
Von Anne Zeuner
Er sei gerne von der ersten Probe an dabei, betont Alejo Pérez, denn es sei ihm wichtig, dass zwischen Regie und Musik eine Einheit entstehe. Das ist auch dem Regisseur sehr lieb: „Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Dirigent bei allen Proben anwesend ist, das ganze Ensemble und ich genießen das sehr; neben der Möglichkeit szenische Lösungen sofort musikalisch zu überprüfen, ist Alejos Präsenz einfach sehr inspirierend“, bestätigt Reinhard von der Thannen.
Reinhard von der Thannen entwirft auch das Bühnenbild und die Kostüme. „Gerade bei einem Werk wie Faust die Möglichkeit zu haben sowohl Regie zu führen und die ästhetische Dimension des Abends – die Bühne und die Kostüme – zu entwerfen, ist eine großartige Herausforderung für einen Theatermacher, wie ich mich gerne selbst bezeichne.“ Ausgangspunkt sei für ihn die Frage gewesen, wie der Chor, der die Gesellschaft spiegelt, aussehen sollte. Der karnevalesk gestaltete Chor habe seiner Ansicht nach nicht nur Unterhaltungs- und Verführungspotenzial, sondern gleichzeitig „einen pseudonaiven Charakter und anarchischen Charme“. Aber hinter der trügerischen Maske der fröhlichen Grimasse verberge sich der Tod. „Erst nach der gesellschaftlichen Verortung, habe ich mich mit der ästhetisch-inhaltlichen Dimension des Raumes auseinandergesetzt“, erklärt Reinhard von der Thannen.
Er arbeite mit einer Art Folienprinzip, sagt der Regisseur, einer Überlagerung von verschiedenen Zeitebenen. Im Falle des Faust gehe es sowohl um die Goethe-Zeit (18. Jh.) mit Bezug auf die historische Vorlage – das Mittelalter –, als auch um die Zeit des Komponisten Gounod, also das 19. Jahrhundert. Schlie´ßlich komme als zusätzliche vierte Ebene die Brechung dazu: das Heute. Wenn man diese verschiedenen Zeitebenen nun wie Folien übereinanderlegt, ergebe sich eine ganz eigene Ästhetik für Raum und Kostüm. Reinhard van der Thannen greift zu einem Vergleich mit dem „Kristallbild“ des französischen Philosophen Gilles Deleuze: Im Inneren eines Kristalls sind aktuelles und virtuelles Geschehen in einem ständigen Austausch. Gegenwartsspitzen und Vergangenheitsschichten werden ununterscheidbar.
In seiner Inszenierung gehe es um die Ambivalenz des modernen Menschen, in dem sowohl Gut als auch Böse nebeneinander existieren. „Der Teufel ist für ihn eine Projektionsfigur, eine Entlastungsfigur, auf die man die Schuld schieben kann, wenn etwas Schreckliches geschieht. Dinge, die Menschen tagtäglich anrichten, sich gegenseitig antun, passieren ja in der Regel nicht, weil eine fremde Macht sie dazu verführt oder gar gedrängt hat. Das Böse ist ein Teil von uns: Es steckt in uns allen. Allerdings - wenn wir das Böse von uns trennen, machen wir uns frei von der Verantwortung für unser Tun. Das Verhältnis zwischen Faust und Méphisto ist in diesem Sinne für ihn eine Art negative Wahlverwandtschaft, in der die Zerrissenheit des modernen Menschen zum Ausdruck kommt“, sagt von der Thannen. Neben der Frage des sogenannten Bösen in der heutigen Welt komme hier für ihn das zweite Thema der Oper Faust ins Spiel: die menschliche Verführbarkeit.
Eine weitere für das Konzept wesentliche inhaltliche Entscheidung sei für Reinhard von der Thannen das Weglassen der Walpurgisnachtszene gewesen. „Für mich war klar, dass diese Szene weder ästhetisch noch inhaltlich in die Oper gehört“, sagt er. „Ich brauche keine Gegenwelt, keine Hölle. Ich bin froh, dass Alejo Pérez relativ schnell diese Entscheidung unterstützt hat.“
Am Anfang sei es allerdings unvorstellbar für ihn gewesen, diese wunderbare Ballettmusik wegzulassen, sagt der Dirigent. „Aber je mehr wir darüber diskutiert haben, desto mehr wurde mir bewusst, dass es richtig ist, die Szene zu streichen“, sagt Alejo Pérez. Gounod selbst habe die Ballettmusik erst im Nachhinein dazu geschrieben. „Die Musik ist wunderschön, passt aber eher in einen Konzertsaal. Sie stoppt die Handlung und passt musikalisch nicht in die Oper. Das musste ich irgendwann zugeben“, sagt er.
Anders als bei Goethe liege die Sympathie nicht bei Faust, sondern bei Marguerite. Das höre man auch in der Musik, sagt Alejo Pérez. „Maria Agresta sagte bei der ersten Probe scherzhaft, das sei ihre erste fröhliche Arie im Leben“, sagt der Dirigent. Die Rolle sei eindeutig im Vordergrund. Die Harmonien im Orchester seien hochinteressant, wenn Marguerite auf der Bühne stehe. (PSF)