Allerlei Schauspieler-Strandgut
FESTSPIELE / PERNERINSEL / DER STURM
03/08/16 Den kleinen Handspiegel, mit dessen Hilfe er Ariel auf die Beine, Pardon, in die Lüfte gebracht hat, zerbricht Prospero und er vergräbt sein Gesicht danach in den Händen. Machtverzicht fällt schwer, auch am Ende eines Lebens, das philanthrope Einsicht gebracht hat. Da setzt auch schon der Premierenbeifall ein. Wie sollte ein Festspielpublikum auch ahnen, dass der alte Insel-Zauberer noch einen – gar nicht so belanglosen – Schlussmonolog hat?
Von Reinhard Kriechbaum
So etwas kann allemal passieren, vor allem wenn sich ein gewisses Längengefühl aufgestaut hat. Deborah Warner, deren beide Shakespeare-Inszenierungen („Coriolan“, „Richard II.“) bei den Festspielen schon zwanzig Jahre zurück liegen, ist keine, die mit dem Rotstift übertrieben großzügig umgeht.
Für den „Sturm“ hieß sie ihren Ausstatter nur ganz wenig Strandgut auf die Riesenspielstätte spülen. Holz vor allem. Einigermaßen geordnet lehnen Platten an den Wänden am Bühnenrand. Eine Rechteckfläche mit Erde, eine andere mit Schlamm, eine altmodische Badewanne, ein langer Kiesweg ganz hinten, ein paar Ausnehmungen im Boden für die rascheren Auf- und Abgänge: Da ist nicht viel, was großem Schauspielertheater, das Deborah Warner wohl im Sinn gehabt haben mag, im Weg stünde. Doch findet solches auch statt?
Vor allem: Zeigt sie viel mehr, als das Milde-Werden eines alten Herren, der eben nicht auf Rache aus ist, sondern die Schurken nur ein klein wenig beschämt und sie dann laufen lässt? „Sich mit dem Stück am Ende eines Jahres zu befassen, das von den Bildern der schrecklichen, gefahrvollen und lebensverändernden Seereisen all jener dominiert wurde, die ohne Hab und Gut schiffbrüchig an unbekannten Inseln strandeten, ist eine außergewöhnliche Erfahrung“. So zitieren die Salzburger Festspiele Deborah Warner auf der Website.
Die Fährte erweist sich als eine falsche. Zwar tragen alle heutiges Gewand, König Alonso gar einen Frack, wie überhaupt die ganz Schiffbrüchigen-Gruppe kleidungsmäßig ganz wenig Schaden genommen hat. Aber fokussierte, gar aufrüttelnde Geschichten vom Stranden in der Ferne werden nicht erzählt. Deborah Warner bleibt der Gegenwart fern. Textlich stelzt und stakst es gelegentlich an dem langen Abend, und die Visuals – die Video-Wogen branden immer wieder auf, beruhigen sich aber auch – bleiben routiniertes Bühnenhandwerk.
Peter Simonischek ist Prospero. Ein wenig mürrisch zuerst, wenn er der leichtfüßig-kleinen Miranda (Sara Tamburini) die Familiengeschichte erzählt. Sie hat das wohl schon oft über sich ergehen lassen müssen, geriert sich pubertär-zappelig. Aber sie zeigt dann doch Neugier. Am Ende gibt Peter Simonischek dem Prospero Ruhe, abgeklärte Altersweisheit. Aber wenn er Alonso, der ihn immerhin um ein dreiviertel Leben als Herrscher von Mailand gebracht hat, umarmt, dann überkommt's ihn und der König von Neapel landet unsanft am Boden. Solch kleinere Interventionen echten Temperaments bringt die Regisseurin öfters mal an, auch in den anderen Rollen.
Splitternackt taucht Caliban auf, der Indigene gilt nicht viel. Wie draufgängerisch-verzweifelt Jens Harzer die hündische Unterwürfigkeit dieser Figur auslebt, ist anrührend. Ariel trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Invisible“, braucht sich also nicht extra-windig aus dem Staub zu machen. Die Besetzung mit Dickie Beau, einem Playback-Performer aus London, ist originell. Sein Text wurde von Fiona Shaw, Angela Winkler und Peter Simonischek eingelesen, ist vorwiegend auf Englisch und im Video untertitelt. Kein sonderlich wirbeliger, eher ein stationärer Geist, der die Lippen mehr bewegt als die Gliedmaßen.
Branko Samarowski lässt lässt als König Alonso tiefe Depression raushängen, was es Charles Brauer leicht macht, als Gonzalo zu sticheln. Das tut er mit vorzüglicher Sprechtechnik und gar nicht ungefährlicher Leisheit. Fast schon Witz hat es, mit wie viel Understatement Sebastian und Antonio einander ein Messer zuzustecken versuchen, um den jeweils anderen zum Mord an den beiden Alten anzustiften. Zuletzt haben sie beide eins in der Hand, wenn Ariel die akut Bedrohten gerade noch aufweckt. Der leicht dekadente Trinculo und der derbere Stephano (Matthias Bundschuh und Matthias Redlhammer) erzielen nur partiell buffoneske Aufheiterung.
Es mangelt nicht an leiser Pikanterie im Kleinen. Aber was dieser Aufführung letztlich doch stark abgeht, ist ein Sog, der übers Episodische trüge. Der Sturm weht nur in Bodennähe und das Zaubrische bleibt erdschwer und wirkt irgendwie mühselig erarbeitet. An dieser Arbeit muss sich das Publikum insofern beteiligen, als die sprachliche Abstimmung wohl nicht im Zentrum der Vorbereitung gestanden ist. Man muss sich im ohnedies akustisch heiklen Riesenraum auf der Halleiner Pernerinsel auf sehr unterschiedliche Idiome und Sprechintensitäten einstellen. Selbst in der elften Reihe, also noch im vorderen Drittel des Zuschauerraums, bleibt manches schlecht verständlich.