Vokaler Triumph. Szenisches Desaster.
FESTSPIELE / COSÌ FAN TUTTE
30/07/16 Drei gute Sängerinnen und drei gute Sänger ergeben eine „Così“ - auch wenn sie Kasperltheater spielen, Grimassen schneiden, in vielerlei Ohnmächte sinken und sich besaufen müssen. Julia Kleiter, Angela Brower, Martina Janková, Mauro Peter, Alessio Arduini und Michael Volle bescherten ihrem Publikum einen bewegenden Abend. Trotzdem.
Von Heidemarie Klabacher
Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung aus dem Jahr 2013 ist aus dem damaligen eleganten „Glashaus“ Rolf Glittenbergs im Haus für Mozart in das trutzige Ambiente der Felsenreitschule übersiedelt. Bechtolf zeichnet in seiner heurigen „Neu-Einstudierung“ auch noch für das Bühnenbild verantwortlich und hat dazu einige Stühle, Kissen und Teppiche aus dem Fundus herbei schaffen lassen. Was durchaus OK und egal und der Deko jederzeit genug wäre.
Ein echtes Problem ist der „Laufsteg“ vor und über dem Orchestergraben, auf den eine subtile Personenregie die Solisten gelegentlich zum Rampensingen hinaus schickt. Diese Beinahe-Überdachung hemmt den Orchesterklang an der Entfaltung. Jedenfalls ist das in der achten Reihe so angekommen. Weiter hinten und oben mag das durchaus anders sein. Vom gewohnten strahlenden und facettenreichen Streicherklang des Mozarteumorchesters ist außer einem Eindruck solider „Assistenz“ wenig angekommen.
Das lag nicht an der musikalischen Leitung von Ottavio Dantone: Dass die Solisten zu solch überragenden sängerischen Leistungen imstande waren – und sich zu immer neuen vokalen Glanzleistungen inspirieren und herausfordern haben lassen – lässt auf eine delikat phrasierte, transparente und beredt phrasierte Wiedergabe des Streicherparts schließen. Tatsächlich zur „Hörbarkeit“ und zur Wirkung gekommen sind dennoch fast ausschließlich Mozarts wundersame Bläsersoli, wie – exemplarisch überwältigend – im Rondo der Fiordiligi „Per pietà, ben mio, perdona“ die Horn- und Holzbläsersolisten.
Julia Kleiter ist die Fiordiligi und Angela Brower die Dorabella dieser janusköpfigen Produktion zwischen Regie-Desaster und Mozart-Ensemble-Wunder. Martina Janková ist als darstellerisch quirlige und stimmlich souveräne Despina als einzige schon bei der Originalproduktion 2013 dabei gewesen. Mauro Peter gibt in der Felsenreitschule den Ferrando, Alessio Arduini den Guglielmo.
Eine Kategorie und Sonderklasse für sich ist Michael Volle als Don Alfonso. Sein Bariton ist im geflüsterten Parlando der Rezitative ebenso so raumfüllend präsent, wie auf dem Klanggrund der transparent gesungenen Ensembles oder in seinen immer ein wenig dämonischen Soloauftritten. (Ach ja, ein paar vermummte Magier, wahrscheinlich eher Freimaurer – wegen des projizierten Wappens - sind immer irgendwo und machen Notizen auf Clipbords; Don Alfonso gehört da irgendwie dazu. Ist aber völlig egal.)
Von Fiordiligis „Per pietà, ben mio, perdona“ war schon die Rede, nicht aber von der Strahlkraft ihres Soprans, den Julia Kleiter technisch souverän und klanglich strahlend klar, untadelig geradlinig und zugleich reich tembriert über alle Lagen und über die Höhen und Tiefen der Emotionen – und die Abgründe dazwischen – zu führen weiß. Dass die aktuelle „Così“ der Salzburger Festspiele nicht zum hohlen misogynen Kasperltheater absinkt, ist der Gestaltungskraft von Julia Kleiter zu danken. Aber auch der vokalen Virtuosität und gestalterischen Präsenz von Angela Brower: Wenn sie denn singen darf und nicht herumhampeln muss, hat ihre Dorabella mehr tragische Tiefe und eine komplexere Persönlichkeit, als die Figur in so mancher anspruchsvollen Regie ahnen lässt.
Fast noch mehr zum Narren als die Frauen, macht diese Inszenierung die Männer, die sich nicht nur im Quartett „La mano a me date“ mit Don Alfonso und Despina wie Marionetten an unsichtbaren Fäden auf und nieder zerren lassen müssen.
Wann in den letzten Festspieldekaden ist Ferrandos „Un’aura amoroso“ tatsächlich gelungen? Mauro Peter hat das wundersame Stück mit wundersamem Schmelz gesungen – kein Wunder, dass Fiordiligi noch hoch oben in den Arkaden bis ins Innerste angerührt worden ist. Kaum weniger überzeugend ist Alessio Arduini etwa schon recht früh im Verführungstreiben mit Guglielmos „Non sitate ritrosi“…
„Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen anno 2016 - ein szenisches Desaster, ein vokaler Triumph.