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Eine Silbe, eine Note, eine Emotion

HINTERGRUND / FESTSPIELE / IPHIGÉNIE EN TAURIDE

18/08/15 Für Moshe Leiser und Patrice Caurier hat die Regie-Arbeit für Glucks „Iphigénie en Tauride“ nicht etwa auf der Bühne begonnen. Sie haben, so erzählen sie, sich ans Klavier gesetzt und in intimer Atmosphäre Note für Note und Wort für Wort mit den Sängern besprochen.

Von Anne Zeuner

„Wir wollen in tiefgreifende Emotionen eintauchen, die extreme Tragödie darstellen“, erklärt Patrice Caurier zur Produktion, die heuer bei den Pfingstfestspielen Premiere hatte. Gerade bei Gluck sei diese Beschäftigung mit der unmittelbar aus dem Notentext hergeleiteten Emotion essentiell : „Eine Silbe ist gleich eine Note, das sei der Sinn von Glucks Opernreform gewesen“, sagt Moshe Leiser. „Die Leute sollen in die Oper gehen, um den Text zu verstehen und nicht nur um schöne Musik zu hören.“ Würde man bei einer Gluck-Oper die Musik in den Vordergrund stellen, so verliere man 90 Prozent der Intensität, da sind sich die beiden Regisseure einig.

Seit 1983 arbeiten Moshe Leiser und Patrice Caurier zusammen. 2012 inszenierten sie Händels „Giulio Cesare“ für die Pfingstfestspiele, und seither sind beinah die Hausregisseure für Cecilia Bartolis Festival. 2013 folgte Bellinis „Norma“, die ja auch in diesem Festspielsommer zu erleben war (und damit die Bartoli in zwei Opern-Hauptrollen). Für „Norma“ wurden die Salzburger Festspiele wurden für diese Produktion in London gar mit dem Opera Award ausgezeichnet. Die Arbeit mit Cecilia Bartoli gerade für „Norma“ sei faszinierend und sehr intensiv gewesen, sagt Moshe Leiser. „Sie ist berühmt für ihre Koloraturen und die italienische Musik. Aber sie ist auch eine der wenigen Sänger auf der Welt, bei der das Wort das Essentielle ist.“

Die Sänger seien Diener der Partitur. Alleine die Aneinanderreihung der Wörter mache Musik. Cecilia Bartoli habe etwa an einem Punkt der Oper eine sehr hohe Note, die sie aber eher schreie statt sie schön zu singen. Genau das wollen die Regisseure erreichen. „Wenn ein Sänger auf der Bühne ‚nein‘ sagt, dann wollen wir das Nein nicht nur hören, sondern es auch in seinen Augen sehen“, sagt Moshe Leiser.

Sieben Wochen lang haben sie vor der Premiere bei den Salzburger Pfingstfestspielen geprobt. Daran, wie man auf der Bühne Stille schaffen kann und wie sich bestimmte Farben entwickeln. „Wir sind nicht auf die große Show aus“, sagt Moshe Leiser. „Wir wollen Emotionen und die Tragödie darstellen.“ Die Arbeit eines Regisseurs empfinde er nicht unbedingt als etwas, das man dann tatsächlich sehen könne auf der Bühne. „Wir sind vielmehr diejenigen, die den Sängern erklären, was passiert und wie sie die Gefühle besser rüberbringen können“, sagt Patrice Caurier. „Es reicht nicht nur zu sagen, dass ein Sänger ärgerlicher sein soll, wir müssen ihm sagen, dass er mehr Staccato singen soll, um seine Ärgerlichkeit herüberzubringen“, sagt Moshe Leiser. Erst das mache die Oper spannungsvoll.

Zur Radikalität der Emotion gehört in „Iphigénie en Tauride“ auch die Szene, in der Christopher Maltman als Oreste komplett nackt auf der Bühne zu sehen ist. Prinzipiell, so Moshe Leiser, hasse er Nacktheit auf der Bühne. „Es war am Ende seine Entscheidung, wir haben es ausprobiert, und er sagte die Situation fühle sich so an, dass es der Nacktheit bedürfe.“ Nacktheit auf der Bühne sei nur dann sinnvoll, wenn es die Situation eben erfordere. „Egal ob ein Nackter oder ein Tier, jedem Regisseur ist bewusst, dass dann jeder im Publikum nur darauf schaut und den Rest vergisst“, bestätigt Patrice Caurier. Bringt man jemanden nackt ins Schlachthaus spüre man die Angst mehr, als wenn er angezogen wäre. Er sei verwundbarer, wehrloser, ungeschützt. „Wir sind dankbar, dass Christopher Maltman das so umsetzt. Wir hätten ihn nie gezwungen, er hätte auch eine Hose anbehalten können, aber dann wäre dieser Effekt verloren gegangen“, vermutet Patrice Caurier.

Was die Botschaft von Glucks Oper im 21. Jahrhundert sein könnte, auf diese Frage haben die beiden Regisseure nicht so recht eine Antwort parat. Es gehe um die tiefe Erfahrung einer wahren Tragödie, die einen im Grunde des Herzens berühre, sagt Moshe Leiser. Wer mit offenem Herzen in die Vorstellung gehe, sei danach tief berührt. „Wir müssen keine Botschaft vermitteln“, sagt Patrice Caurier. „Wir wollen den Menschen einen Spiegel bieten. Die Oper redet doch über uns Menschen.“ (PSF)

„Iphigénie en Tauride“ wird morgen Dienstag (19.8.) im Haus für Mozart wiederaufgenommen, weitere Aufführungen sind am 22., 24., 26. und 28. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner

 

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