Abhängen in Pörtschach
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI, MUTTER
14/08/15 Wenn das bloß unser Herr Landeshauptmann, zuständig auch für die Tourismusagenden des Landes Salzburg, nicht spitz kriegt: wie effizient die Wiener Philharmoniker und Riccardo Muti gerade zu Ferragosta bei den Festspielen Werbung machen fürs relaxte Leben in Kärnten.
Von Reinhard Kriechbaum
Damit meinen wir nicht Hypo, sondern Brahms, nicht Bankgeschäfte, sondern Sommerfrische. In Pörtschach nämlich entstand die „Zweite“. Dort „fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten“, notierte er damals, 1877, in Kärntner Urlaubslaune. Riccardo Muti und die Philharmoniker tun es ihm nun gleich, und ihrer gemeinsame Recreation steht für Sommer, Sonne, Ferien wie aus dem Prospekt der Tourismuswerbung. So idyllisch und rund, durchweht von frischen Lüftchen. Das kann man genießen, die Augen zumachen – und öffnet sie höchstens für einen kurzen kontrollierenden Blick, ob die Orchestermitglieder eh nicht Schuhe und Socken ausgezogen haben und womöglich die Füße ins Wasserschaffel halten.
Was man bei einem solchen Kontrollblick nebenbei entdeckt, ist perfektes Musiktheater: Damit meine ich die automatische Kamera, ein Stück aus der Technik-Armada von ORF und UNITEL mit Eigenleben. Dieses Ding an der flexiblen Teleskopstange fährt beim letzten Orchestercrscendo im langsamen Satz hoch, fällt rasch zurück quasi auf Augenhöhe, wenn die Lautstärke wieder draußen ist, um dann – schließlich geht es ums Ganze – beim letzten Piano dieses Satzes wieder von ganz oben die Orchestertotale zu fassen. Das könnte kein Choreograph musikalischer umsetzen.
Die Herren und Damen Philharmoniker haben wieder einmal Riccardo Muti jeden melodischen Wunsch von den Lippen abgelesen und im übrigen getan, was sie mit der „Zweiten“ von Brahms vermutlich tun, seit sie dieses Werk 1881 aus der Taufe gehoben haben: es mit spürbarer Freude spielen. Entspannt im allerbesten Sinn.
Die Matinee zu Ferragosta folgt im übrigen ihren eigenen Gesetzen. Es ist das einzige Salzburger „Philharmonische“, das drei Mal gegeben wird, es wird übertragen in Hörfunk, Fernsehen und dann medial weiterbehandelt nach allen Finessen zeitgemäßen Musik-Marketings. Andere Maßstäbe gelten, wenn allein sechstausend Leute nach Salzburg kommen, um sich solches live zu geben. Die Brahms-Symphonie könnte man jederzeit auch anderswo so aufführen und handelte sich Interpreten-Ehre ein. Für das Tschaikowsky-Violinkonzert mit Anne-Sophie Mutter gilt das absolut nicht. Diese Wiedergabe hat nicht einmal Mindestanforderungen entsprochen, was die Abstimmung zwischen Solistin und Orchester anlangt. Fingerläufig ist Anne-Sophie Mutter nach wie vor rollendeckend drauf. Über Stilfragen reden wir besser nicht bei solch schwerem Dauer-Vibrato. Aber auch mit Vibrato kann man säuseln (zweiter Satz), dass die Holzbläser der Philharmoniker schier nicht gewusst haben, wo und wie ihre Töne verstecken. Das Publikum war schließlich willens, die reichlich draufgängerische Knallerei im Finalsatz für Musik zu nehmen: Jubel, wie er zu dem Anlass eben sein muss.