Schläfriger Faun, nervöser Boulez
FESTSPIELE / WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA / BARENBOIM
13/08/15 Der Faun aus Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ war – kein Wunder bei der herrschenden Hitze – an diesem Abend besonders traumverloren: Wie Luftspiegelungen über Wasser oder heißem Sand, wie Klang-Fata Morganas, zogen die flirrenden Harmonien vorüber und, angeführt vom verführerischen Lied der Soloflöte, die Hörer in ihren Bann.
Von Heidemarie Klabacher
Es ging schon stark auf Mitternacht zu, als der Jubel im Großen Festspielhaus erst so richtig aufbrandete. Das West-Eastern Divan Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim spielte im ersten seiner beiden Gastkonzerte bei den Festspielen Werke von Debussy, Boulez und Tschaikowski.
Der Faun döst ja nicht allzu lang. Die Umbaupause danach war kaum kürzer, wenn auch viel zackiger in der Performance: Galt es doch, die Bühne im Großen Festspielhaus frei zu räumen für die elf Instrumente zu Pierre Boulez’ "Dérive 2". Das erste Gastspiel der jungen Musikerinnen und Musiker aus dem Nahen Osten ist auch Teil der Pierre Boulez gewidmeten Reihe „Salzburg Contemporary“. Boulez hat das Stück 1988 geschrieben und 2006 erstmals überarbeit. Das brillante Solo-Ensemble des West-Eastern Divan Orchestra spielte die dritte Fassung aus 2009.
Mit bewundernswerter Konzentration folgt das Publikum dem auf gut fünfzig Minuten angwachsenen Monumental-Kammermusikwerk: einem nervösen In-sich-Kreisen der Einzelstimmen von Violine (Michael Barenboim), Viola, Cello, Englischhorn, Klarinette Fagott, Horn, Klavier, Marimba, Vibraphon und Harfe. Kleinformatige Ausbrüche und Eruptionen. Zusammenstöße von Instrumenten oder Instrumentengruppen in gegeneinander verschobenen Rhythmen und verschiedenen Tempi. Dann wieder Momente sich in scheinbarer Ruhe ausbreitender Klangflächen: Virtuos und präzise, wenn auch nicht ganz kurzweilig, ließ Daniel Barenboim seine elfköpfige Elitetruppe das Werk entwickeln. Als Ensemble-Stück hätte "Dérive 2" eher in ein Kammer- als ein Orchesterkonzert gepasst, der Jubel für die Ausführenden war dennoch ansehnlich.
Überbordend wurden die Ovationen freilich erst nach dem wahrlich effektvoll aufgetürmten Finale der Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36 von Peter I. Tschaikowski. Im ersten Satz hat Daniel Barenboim (der übrigens genau vor fünfzig Jahren bei den Festspielen als Pianist debütiert hat) dem Bläser-Geschmetter subtil verinnerlichte und dennoch nie larmoyante Passagen degenübergestellt. Ein Vergnügen war der flinkfingrig gezupfte Pizzikato-Satz mit der übermütigen Wortmeldung der Piccoloflöte. Nach dem Finale: Tobender Applaus. Zwei Zugaben. Weiterer tobender Applaus.