Vom Leben mit Beethoven und Schönberg
FESTSPIELE / MAURIZIO POLLINI
10/08/15 Jahrzehnte muss man zurückblättern in der Chronik, um einen Festspielsommer ohne ihn zu entdecken: 1990 war eine Blindstelle. Seit seinem Salzburg-Debüt 1973 fehlte Maurizio Pollini bloß noch zwei Mal, 1975 und 1983, im sommerlichen Salzburg.
Von Reinhard Kriechbaum
Eine Konstante für Pollini: Schönberg und Beethoven. Schon 1974 fanden sich in seinem Solistenkonzert (dem zweiten, das er in Salzburg gab) Schönbergs Drei Klavierstücke op. 11 und dessen Sechs kleine Klavierstücke op. 19. Und auch Beethovens Sonate „Der Sturm“ war damals im Programm. Was soll's, dass der Sturm heutzutage vor allem im Perpetuum mobile des Allegretto manche Note verweht: Pollini rechnet nach wie vor zu den großen Beethoven-Exegeten unserer Tage. Im langsamen Satz dieser Sonate (Nr. 17 op. 31/2) trifft er aufs Überzeugendste die Verschränkung aus metrischer Strenge einem gleichsam poetisch glühenden Ton. Im Eröffnungssatz lässt Pollini zwischen den Läufen gleichsam die Zeit stehen.
Für solche Blickwinkel auf die Musik trotzt man gerne wie an diesem Sonntag (9.8.) der ungewohnten Uhrzeit (17 Uhr) und auch den herausfordernden 35 Grad. Schon gar für Schönberg! Pollini hat nie bloß reproduziert, er hat mit diesen Werken auch öfters mal wieder „neu angefangen“. Milde klingt nun manches, was nicht heißt, dass es an Spannung fehlte. Im mittleren der Drei Klavierstücke op. 11 führt Pollini die Überlebenskraft des Bass-Ostinatos (eines Terz-Motivs) vor, zeigt mit den markanten seitwärts drängenden, ausbrechenden und ausschweifenden Irritationen in Mittellage und Diskant, wie dieses Ostinato nicht und nicht tot zu kriegen ist. Ein leiser Überlebenskampf im Biotop, nach dem die knappe, schnelle Bewegung des dritten Teils absolut zwingender und notwendiger Kulmisationspunkt der Energie ist.
Ganz anders der energetische Verlauf in den Sechs Kleinen Klavierstücken: Das Finale „Sehr langsam“ in verinnerlichter Welt-Abgewandtheit – das hat der letzte Huster im Auditorium verstanden.
In Sachen Beethoven (nach der Pause folgten im Großen Festspielhaus die Sonate Nr. 24 Fis-Dur op. 78 und die „Appassionata“) feierte Pollini kürzlich ein Jubiläum. Mit der im Herbst vergangenen Jahres bei DG erschienenen CD mit den insgesamt fünf Sonaten op. 31 und 49 (da gehört also „Der Sturm“ dazu) hat er seine vier Jahrzehnte währende Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten abgeschlossen. Die „Appassionata“ nun im Festspielhaus zeigte, wie wenig der 73jährige sich schont, auch wenn das Manuelle da und dort Streiche spielt: Solcher Furor in der finalen Stretta steht eben für mehr als für pianistische Denkmalpflege und vermittelt ein pulsierendes Leben jenseits der pianistischen Tagesverfassung.