Verkehrsberuhigung auf der Scherzo-Tanzfläche
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / BERNARD HAITINK
07/08/15 Wie steuert man von Blech-Gipfel zu Blech-Gipfel? Was tun, um dazwischen die Energieflüsse nicht versiegen zu lassen? Diese falsch gestellte Frage mag das Problem allen Bruckner-Dirigierens sein. Wie falsch sie ist, das zeigte auf bewundernswerte Weise Altmeister Bernard Haitink bei den Festspielen.
Von Reinhard Kriechbaum
Programmatische Linie heuer (und nächstes Jahr) ist für die Salzburg-Konzerte der Wiener Philharmoniker die Beschäftigung mit „ihrer“ Musik. Mit Werken also, die dieses Orchester – als Hofopernorchester oder schon unter dem Markenzeichen Wiener Philharmoniker – uraufgeführt hat. Bernard Haitink ist unwidersprochene Instanz was Bruckner angeht. Es war naheliegend, ihm das Festspielkonzert mit der „Achten“ anzuvertrauen.
„Ein Triumph, wie ihn ein römischer Imperator nicht schöner wünschen konnte.“ Einen solchen Musik-Gipfelpunkt erlebte Hugo Wolf am 18. Dezember 1892. Der garstige Eduard Hanslick von der Anti-Wagner/Bruckner-Fraktion ließ sich aus gleichem Uraufführungs-Anlass darüber aus, dass diesem „traumverwirrten Katzenjammerstil“ womöglich die Zukunft gehöre, „die wir nicht drum beneiden“. Ihm muss man zugute halten: Damals hat kein Haitink Ordnung und System in den „Katzenjammer“ gebracht.
Es geht eben nicht um das Hinüberretten, sondern um die so wesentlichen Dinge zwischen den Klangkronen. Wer hat schon die enge Polyphonie, die knapp „nachtickenden“ Schatten der Bratschen oder der Wagner-Tuben im Griff wie Haitink? Da wird man als Hörer nach jeder Generalpause aufs Neue quasi hinein gezwungen in die Feinmotorik, der Haitink so viel kapellmeisterliche Aufmerksdamkeit schenkt.
Das kulminiert logischerweise im 25minütigen Adagio-Satz, der so wundersam unprätentiös vorbei gezogen ist. Wie beiläufig doch die Tuben sich in die Steigerungen einmengten, gleichsam die Wortführerschaft übernommen haben, ohne dem Stimmgeflecht rundum die Gedankenfreiheit zu nehmen.
Die Wiener Philharmoniker fühlten sich, so schien es am Donnerstag (6.8.) im Großen Festspielhaus, von Haitink bis ans letzte Streicher- und Bläserpult motiviert, ernst genommen in ihrer Mitbeteiligung. Dass der Doyen der Bruckner-Interpretation mit einem ökonomischen Mindestmaß an Bewegung auskommt, ist ja legendär. Seine sanften, dem Auditorium mehrheitlich verborgen bleibenden Winke finden augenblicklich ihr Echo.
Ebenso legendär aber auch Haitinks Unerbittlichkeit in Tempo-Fragen. Auch das Scherzo kommt wirklich „moderato“ daher, weswegen das blechschwangere Thema sich zwar mächtig aufplustert, aber die Luft nicht peitschend zerschneidet. Und dann die Metamorphose dieses Themas durch das Corps der Holzbläser, gerundet und tonlich edel, wie in sanftem Licht erhellt: Verkehrsberuhigung auf der Scherzo-Tanzfläche, die ein Durchatmen und ein genaues Beobachten der Mittanzenden möglich macht.
Nie drängte sich in dieser Wiedergabe das Blech lautstark ins Bild. Bei so viel aus den kontrapunktischen Verknotungen heraus entwickelter Spannung sind das Leuchten der Trompeten oder der sanftere, quasi-religiöse Nimbus der Tuben bloß die unverzichtbare Säulen der Architektur. So viel Energie dann wieder abzubauen: Da sind bei Haitink die vielen ultra-leisen Takte am Ende des ersten Satzes was zu wenig. Und im Finalsatz hat Haitink gelegentlich so etwas wie Überschwang aus dem Ärmel geschüttelt (maßvoll, wie sonst?) – und dann ließ er nach dem ultimativ strengen Fugato wieder mit dem ihm eigenen Statement die Bläserklänge wie Schläge großer Glocken sich entwickeln. Es wäre kein Bruckner von der starken Hand des 86jährigen gewesen, wenn er nicht bis zuletzt auf die Kontrolliertheit gesetzt hätte: Feierliches Forte und kein niederschmetternder Blech-Knall am Ende – und danach fünf Sekunden absolutes Schweigen im Saal. Das will in Salzburg was heißen, an dem Lieblingsort festspielwütiger Bravo-Plärrer.