Raum für himmlische Klänge
FESTSPIELE / KLANGFORUM / CAMBRELING
01/08/15 „Zum Teufel nein! Es gilt, beherzt gegen die Behauptung zu Felde zu ziehen, dass die ‚intellektuelle Reflexion‘ für die ‚Inspiration‘ schädlich sei – das Wort ‚Inspiration‘ in seinem blitzumzuckten, orakelhaften Sinn gebraucht.“ Diese Worte von Pierre Boulez könnten das Motto des Abends sein.
Von Dietmar Rudolf
Selten ist für die Kollegienkirche so klug und für den Raumklang so stimmig programmiert worden, wie für das erste der beiden Festspielkonzerte des „Klangforum Wien“ mit Sylvain Cambreling in der Pierre Boulez zum neunzigsten Geburtstag gewidmeten Reihe „Salzburg Contemporary“.
Werke von Gérard Grisey, Olivier Messiaën, Matthias Pintscher und Pierre Boulez stehen auf dem Programm. Ihre Verbindungen untereinander sind eng geknüpft: Messiaën ist der Übervater der europäischen Nachkriegsmusik, Boulez und der früh verstorbene Grisey sind seine Schüler. Pintscher wiederum leitet das von Boulez gegründete Ensemble Intercontemporain. Und ebenso greifen die vier Stücke thematisch ineinander. Bei aller Verschiedenheit steht eines im Zentrum: die Arbeit am Klang.
„Jour, Contre-Jour“ heißt das von Grisey 1978 komponierte Werk für E-Orgel, 13 Musiker und Tonband. Die Vorstellung, der ägyptische Sonnengott Ra fahre mit seiner Barke über das Firmament, liegt ihm zugrunde. Unglaublich, wie präzise und zugleich feinfühlig Cambreling und das Klangforum diesen langsamen Bogen aus crescendo und decrescendo, dieses kaleidoskopartige Ineinandergleiten der Spektraltöne, hörbar machen, so dass man immer wieder die Struktur der Obertonreihen erkennen kann.
Nachdem man nun schon „der Brudersphären Wettgesang“ vernommen hat, ist es zu den „Farben der himmlischen Stadt“ - dem Werk „Couleurs de la Cité Celeste“ aus dem Jahr 1963 - von Messiaën nicht mehr weit. Ungleich gestischer ist dieses Stück für Klavier, Bläser und Metall-Schlagwerk konzipiert. Messiaën setzt nicht auf gleitende Übergänge, sondern auf Kontraste, er „kom-poniert“ nicht, er „kontra-poniert“, wie Boulez einmal ironisch kommentiert hat. An Farbenreichtum steht das vergleichsweise kleine Klangforum einem Strauss-Orchester um nichts nach. Auch der Pianist Florian Müller spannt den Bogen zwischen virtuoser Präsenz bei den für Messiaën so typischen zwitschernden Soli bis zum kollegialen Zurücktreten in den Ensembleklang. Und Cambreling macht alle „Couleurs“ vom hellfunkelnden Diamanten bis zu den ehrfurchtgebietenden dunklen Mauern der „Cité Céleste“, von deren Klangwucht die Kollegienkirche förmlich erbebt, sinnlich erfahrbar.
Matthias Pintschers 2005 entstandene „Verzeichnete Spur“ beginnt wie ein leises Atmen, umgesetzt von den Elektronikern des Klangforums. Aus dem Konzertieren der beiden hervorragenden Cellisten Peter Sigl und Andreas Lindenbaum und einem Klangteppich aus Schlagwerkimpulsen entsteht eine Art Notturno, das manchmal fast an Nachtklänge von Bartok und Ives erinnert. Es kulminiert in einem halsbrecherischen Kontrabass-Solo (eindrucksvoll: Alexandra Dienz), um dann wieder in die Stille zurückzukehren. Wunderbar, dass Cambreling die Intensität nie aus der Lautstärke bezieht. Mehr als ein Mezzoforte ist bei dieser Nachtmusik nie zu hören. Dafür ferne nächtliche Vogelschreie und ein fast schelmenhaftes „Pling“ als Schlussakkord - verschwunden sind die Nachtgeister.
Mit einem energiegeladenen Attacca beginnt das letzte Stück des Abends, das von Boulez (wie viele seiner Werke) mehrfach überarbeitete „…explosante-fixe…“. Flirrende, elektronisch verfremdete Passagen wechseln mit kreisenden Figuren. Die drei Solo-Flöten, virtuos gespielt von Eva Furrer, Vera Fischer und Thomas Frey, wirken oft wie ein Instrument mit dreifachem Atem und sechs Händen, so dicht sind die Stimmen ineinander verwebt.
Eine mitreißende perkussive Kraft dominiert über weite Strecken die Komposition, bis sie dann mit einer abrupten Verlangsamung im Schlussteil zur Ruhe kommt und mit einem Flötenhauch verebbt. Einzig bei diesem Werk wünscht man sich etwas weniger Nachhall, um die Strukturen deutlicher hören zu können.
Cambreling steht noch für einige Sekunden noch die Anstrengung ins Gesicht geschrieben, bevor er und seine Musiker lächelnd die verdienten Publikumsovationen entgegen nehmen.