Schwebende Grenzgängereien
FESTSPIELE / ORF RADIO-SYMPHONIEORCHESTER / MEISTER
31/07/15 Vier Trompeten, sechs Hörner, vier Posaunen, sieben Gongs und sieben TamTams sind vorne auf der Bühne. In der Felsenreitschule verteilt sind weiter sieben Ensembles, Bläser- und Streichergruppen mit je einem Schlagzeuger. Auf den Pulten: Pierre Boulez’ „Rituel in memoriam Bruno Maderna“.
Von Heidemarie Klabacher
Pierre Boulez hat heurigen März seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert. Die Salzburger Festspiele widmen dem Komponisten und Dirigenten die Reihe „Salzburg Contemporary“: An acht Abenden werden Werke des großen Franzosen mit Klassikern der Moderne und aktueller zeitgenössischer Musik in Beziehung gestellt.
Eröffnet worden ist der Zyklus vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Cornelius Meister mit Pierre Boulez’ Rituel in memoriam Bruno Maderna pour orchestre en huit groupes aus dem Jahr 1975 und Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 D-Dur.
Mit dem bereits 1973 verstorbenen Dirigenten und Komponisten Bruno Maderna war Pierre Boulez freundschaftlich und künstlerisch eng verbunden. 1958 leiteten sie gemeinsam die Uraufführung von Karlheinz Stockhausens legendärem Werk Gruppen für drei Orchester. In seiner Trauermusik für den Freund und Kollegen bezieht sich Boulez auf Stockhausens Gruppen, aber auch auf Madernas Quadrivium für vier Schlagzeuger und vier Orchestergruppen.
Das Rituel in memoriam Bruno Maderna ist quasi ein „typischer“ Boulez in der Form streng wie auf dem Reißbrett konstruiert, im Klang schillernd, schwebend, oft opulent. Gespielt wird es von sieben im Raum verteilten Bläser- und Streicherensembles mit je einem – für das Gruppentempo verantwortlichen – Schlagzeuger. Dazu kommt ein Hauptensemble mit vierzehn Blechbläsern, sieben Gongs und sieben TamTams auf der Bühne.
Ein ideales Setting für die überdimensionale Felsenreitschule, die von den Mitgliedern des RSO in eine geradezu wundersam schillernde Klangmuschel verwandelt wurde. Ein spannungsvolles vielschichtiges Wechselspiel: einerseits zwischen Bläsern und Streichern in ständig wechselnden Konstellationen, andererseits zwischen Passagen scheinbar schwerelosen Spährenklanges und Passagen pointiert vorwärts drängender Intervallmotive.
Mit einem ebenso spannungsvollem Wechselspiel hat Cornelius Meisters im ersten Satz der „Ersten Mahler“ aufhorchen lassen: Das wirkte weniger wie die programm-musikalische Darstellung etwa eines Naturerwachens, als wie die beinah abstrakte Darstellung einer Gratwanderung zwischen zwei Zeit- oder Bewusstseinsebenen. Der zweite Satz, musikantisch deftig, verblieb ein wenig im Episodischen. Im herrlich breit ausgesungenen Kanon im dritten Satz war die Ironie zum Greifen nahe und stand in reizvollen Kontrast zum Mittelteil mit dem traumverlorenen Lindenbaum-Motiv. Dann das effektvoll aufgebaute Crescendo hin zum Finale hin: Die Hornisten erheben sich, wie ein Mann und lassen das Publikum in den vollen Genuss ihres machtvollen Schmetterns kommen: Kein Wunder, dass sich das Publikum mit seinem Jubel nicht lumpen lassen wollte.