Türen auf, Türen zu, tolles Theater
FESTSPIELE / LE NOZZE DI FIGARO
29/07/15 Man hört schon das Raunen des Missfallens im deutschen Blätterwald. Sven Eric Bechtolf wagte es, „Le nozze di Figaro“ zu inszenieren und nicht zu dekonstruieren. Knapp vier Stunden Mozart-Glück sind die Folge. Entsprechend viel Erfolg erntete die Premiere im Haus für Mozart.
Von Gottfried Franz Kasparek
Der Rezensent gesteht, seit Jean-Pierre Ponnelles „Figaro“-Produktion in den siebziger Jahren nicht mehr so viel bei diesem Stück gelacht zu haben. Inszenierungen wie die letzte in Salzburg von Claus Guth mögen ihre Meriten haben, aber sie ertränken den Geist der Buffa in des Gedankens Blässe. Nichts davon bei Bechtolf. Die Geschichte spielt bei ihm in den zwanziger Jahren, eben abgeschafftes Feudalrecht hin oder her – gewisse spanische Granden fuhrwerkten wahrscheinlich auch damals nicht viel anders durch ihr Leben als Conte Almaviva anno 1780. Und eine Revolution dräute auch damals unter der Sonne Andalusiens. Denn die völlige Ent-Revolutionierung des „Figaro“ halte ich, mit Verlaub, für wissenschaftliche Sophisterei. Mozart und da Ponte waren nicht so naiv, die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen. Sie rückten ihnen aber mit Augenmaß und einer genialen Mischung aus feinem und dreistem Humor zu Leibe, die in dieser Neuinszenierung blendend auf die Bühne kommt.
Das Schloss auf der Bühne befindet sich zu ebener Erde und im ersten Stock. Alex Eales (Bühne), Mark Bouman (Kostüme) und Friedrich Rom (gottlob kein fades Arbeitslicht) sorgen für Atmosphäre ohne Kitsch, für Stimmungen voll schräger Poesie und glaubwürdiges Ambiente. Regisseur Bechtolf lässt darin all seine Künste an Personenführung spielen. Nur in wenigen Momenten wird das stete Treiben von Dienstboten und Besuchern im Stiegenhaus ein wenig zu bunt und lenkt von den eigentlich Agierenden ab.
Schön, dass emotionale Ruhepunkte wie die große Arie der Contessa solche bleiben dürfen. Ganz verlassen sitzt Anett Fritsch da am Tisch und verströmt ihren wundersamen, innig leuchtenden, zutiefst menschlichen Sopran. Anett Fritsch ist überhaupt das emotionale Zentrum des Abends. Zwar macht sie die Späße der Susanna bereitwillig mit, bleibt aber einsam bis zum Ende. Da kann Luca Pisaroni, der jugendlich smarte Graf mit markantem Kavaliersbariton, noch so sehr um Vergebung bitten. Die Regie arbeitet die „Szenen einer Ehe“ stimmig heraus. Zwischen Graf und Gräfin herrscht ständig Hochspannung, nicht nur dann, wenn sie ihm sein Gewehr entwendet und an die Brust hält. Diese Liebe ist nicht tot, sondern sie leidet und mischt sich explosiv mit Hass und Eifersucht.
Überhaupt ist es das Atout dieser Aufführung, dass prachtvoll Theater gespielt wird. Alle singenden Menschen auf der Bühne sind auch tolle Schauspieler und Schauspielerinnen und machen den „tollen Tag“ zum Erlebnis. Schon lange nicht hat man eine derart quirlige, batschierliche, und lustvoll spielfreudige Susanna gesehen wie Martina Janková. Sie spielt kokett mit der Liebe und findet in der Rosenarie trotzdem zu den innigen Tönen ihres zarten Soprans. Adam Plachetka ist ein robust auftrumpfender Figaro in bester Tradition, ein Kerl von einem Mann, der am nuancierten Einsatz seines Bassbaritons noch feilen wird und in der Eifersuchtsarie im Finale zu großer Form aufläuft. Margarita Gritskova ist wahrlich ein springlebendiger „kleiner Teufel“ von Cherubino und punktet mit jungenhaftem und dennoch warm timbriertem Mezzo. Wenn im zweiten Akt die „Türen auf-Türen zu“-Farce, diese grandiose Feydeau-Vorwegnahme, abspult, wird endlich einmal wieder herzhaft gelacht. Ja, da darf dem Affen Zucker gegeben werden, aber das Vexierspiel knisternder Erotik kommt ohne Übertreibungen aus. Famos!
Es gibt ein herzerfrischendes Wiedersehen und Wiederhören mit Ann Murray, die in den achtziger Jahren als jugendlicher Mezzo Festspielgeschichte geschrieben hat und nun eine noch gar nicht so ältlich wirkende, verschmitzte Marcellina verkörpert. Ihr Don Bartolo wird von Carlos Chausson mit unvermindert kernigem Bariton köstlich als seriöser Geck dargestellt. Paul Schweinester, als Basilio ein stimmig schlaksiger Intrigant, führt seinen schmalen Spieltenor gut. Mehr Stimme hat der aufdringlich devote Don Curzio des Franz Supper zu bieten. Christina Gansch als naive, halbwüchsige Barbarina besteht ihre sexuellen Abenteuer mit drastischer Komik, singt jedoch die kostbare Ariette über den Verlust der Nadel und der Unschuld berührend. Auch Erik Anstine als pfiffig angesäuselter Gärtner Antonio ist keine Nebenfigur, sondern ein glaubwürdiger Mitspieler im Reigen der Komödie. Und die animiert agierende Abordnung des Wiener Staatsopernchors, perfekt einstudiert von Ernst Raffelsberger, gibt dem Abend ebenso zusätzliche Kontur wie die von Bechtolf akzentreich gezeichnete Statisterie.
Im Graben sitzen die Wiener Philharmoniker und deren erfreulich schwereloses, dabei herrlich gefühlvolles Mozart-Spiel erblüht aufs Schönste ohne allzu viele Romantizismen. Dies ist dem Dirigenten Dan Ettinger zu danken, der das Räderwerk der Opera buffa mit Elan und Witz antreibt, einige lyrische Inseln des Verweilens eingeschlossen. Da mag manche Phrase noch etwas oberflächlich erscheinen – der Mannheimer GMD ist ein vollkommener Opernkapellmeister und am besten Weg dazu, eine Mozart-Instanz ohne aufgeplustertes Stargehabe zu werden. Noch dazu bedient er selbst das Hammerklavier.
Am Ende bleibt die Gräfin wie eine weiße Fee am Rande des leicht heruntergekommenen Schlossgartens, lässt sich nur der Form halber von ihrem endgültig entzauberten Gatten zu einem Glas Champagner verführen. Auch nach den letzten Takten des lapidar über alles hinwegfegenden Finaltrubels verweilt die Gesellschaft auf der offenen Bühne, in ihrer wurschtigen Partylaune sehr zeitgemäß wirkend.
Ende gut, alle Fragen offen. Hingehen, ansehen, anhören!