„Ein furchtbares Weibliches versuchen“
FESTSPIELE / DIE EROBERUNG VON MEXICO
27/07/15 Eine propere Dame im luftigen Sommerkleid – Montezuma – erwartet Herrenbesuch. Sichtlich nervös ist sie, rückt im blütenweiß eingerichteten Wohnzimmer noch schnell jedes Buch an die rechte Stelle, kreist immer noch einmal prüfend um Tisch und Sitzgarnitur. Draußen nähert sich Cortez mit einem Strauß Rosen. Eine Eroberung ist angesagt. Er klettert über Autowracks.
Von Reinhard Kriechbaum
Wolfgang Rihms Musik-Theater „Die Eroberung von Mexico“, ein Klassiker aus dem Jahr 1991, ist bestens aufgehoben in der Felsenreitschule. Hier können Wolfgang Rihms teils leise-irisierende, dann wieder mit äußerster Vehemenz losbrechende Klänge wunderbar in den Raum greifen. Für feinnervige rhythmische Durchpulsung (in den Schlaginstrumenten klingt in Spurenelementen mexikanischer Lokalkolorit an) sorgt Dirigent Ingo Metzmacher am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester Wien: Der leise Herzschlag quasi zu dem sinnlichen, oft schwebenden Vokal-Gespinst, das aufdringliche Verortung weit hinter sich lässt und die eigentliche Qualität dieser Musik ausmacht.
„Die Eroberung von Mexico“ ist ja nicht als historisches Tableau zu lesen. Das Aufeinanderprallen des Fremden, das Unverständnis fürs Gegenüber, der daraus fast zwingende Clash – das ist Rihms Thema. Um einander nahe zu kommen, müssten die beiden Protagonisten erst ihr Ich besser ausloten.
Hochaktuell eigentlich in einer Zeit der Migrantenströme. Aber solche (heutige) Nähe verkneift sich Regisseur Peter Konwitschny, der aufs Anschauliche einer fast banalen Beziehungsgeschichte setzt. Montezuma: eine blonde Dame, wie einem Film der sechziger Jahre entsprungen. Täte nicht wundern, wenn sie schnell mal zum Staubsauger griffe. Dagegen Cortez: ein Freier mit kräftigem Schritt, viril in der Gestik, aber irgendwie auch rührend unbeholfen, schnell mal ratlos am Rande stehend. Besser geht’s fast nicht, wie Bo Skovhus diesen selbst-unsicheren „Eroberer“ gestaltet: Er ist ein Sänger mit vorzüglichen hellen Bariton-Qualitäten. Diesem Rabiat-Lyriker nähme man augenblicklich ab, dass er eine echte Beziehung zu Montezuma wollte. Weicher Kern, harte Schale: Stimmt schon, er müsste nicht gleich über die Dame herfallen, die eher den schöngeistigen Dialog sucht und gerne über Bücher redet.
Was im Lauf der weiteren Akte passiert, kommt aus fataler Unsicherheit beider Seiten. Die Zaungäste reden ein Wörtchen mit: Weil die Chorpartie in diesem Stück vom Band kommt, hat die Spieltruppe viel Auslauf, agiert auch aus dem Zuschauerraum. Die Mannen wollen einen starken Führer sehen. Das in jedem der vier Akte auftauchende Wort-Leitmotiv „neutral – weiblich – männlich“ wird einmal zum martialischen Männergesang, während die zwei Sängerinnen, die Vertrauten Montezumas, der eben Vergewaltigten aufhelfen.
Die Frau wiederum würde sich im Ernstfall einer Gerichtsverhandlung als Vergewaltigungsopfer ziemlich rechtfertigen müssen, um dem Vorwurf einer Mitschuld, der Herausforderung des Schicksals zu entgehen. In diese Richtung gehen ja oft die Strategien der Täter-Verteidiger. Angela Denoke ist diese starke Sopranistin, die Cortez schon mal die Tür weist und einmal sogar recht kräftig zurück schlägt, sich ihm aber auch offen, einladend zuwendet. Auf Dauer hat sie in ihrem properen Wohnzimmer-Biotop keine Chance. „Ich möchte ein furchtbares Weibliches versuchen“, singt Cortez.
Die von Peter Konwitschny den beiden Hauptdarstellern quasi auf den Leib geschriebene, feinmotorisch gut entwickelte Geschichte einer unmöglichen Beziehung hat der Regisseur ziemlich genial der Riehm'schen Partitur abgehört. Verblüffend, wie manch banaler Handlungsschritt musikalisch gedeckt scheint. Verschränkungen zwischen Orchestergraben und Bühne: Montezuma (in Sopran-Lage) hat hat dort ja zwei Frauenstimmen als Assistenz – die beiden Sängerinnen eilen der Protagonistin mehrmals auf der Bühne zu Hilfe: einmal als Geburtshelferinnen. Was holen sie unter Decke hervor? Tablets und iPads, der Kampf zwischen Conquistadores und Azteken wird zum video-generierten Computerspiel, dessen Faszination sogar die Begleiterinnen der Frau Montezuma erliegen. Sie ringt tumultuös mit Cortez um den Apple und singt: „Krieg spuckt Krieg aus!“
Cortez hat im Orchestergraben zwei Schauspieler als unmittelbar Verbündete, die manch rhythmisch knifflige Vokalise und pointierte Haugeräusche produzieren müssen. Nicht weniger als die Sängerinnen Susanna Andersson und Marie-Ange Todorovitch sind also auch Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz musikalisch gefordert. Auch sie marschieren als Handlanger gelegentlich auf die Bühne, so wie die große Gruppe männlichen Statisten, die in einer Szene mit Gold bestens bedient werden mit einer Gruppe nackter junger Damen mit güldener Schminke auf den Körpern.
Immer und immer wieder verblüffend schlichte, direkte Ideen in Handlung und Ausstattung – die notwendige Erdung des Antonin Artaud entlehnten Textes, den Wolfgang Rihm als sein eigener Librettist durchaus ein wenig prätentiös arrangiert hat. Dem steuern Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker zielstrebig entgegen. Da ist etwa die Szene, da Cortez die Jungfrau Maria gegen die lokalen Götter ausspielt. Er kommt er im knallroten Cabrio vorgefahren, einem Fetisch neuen Glaubens. In der Felsenreitschule ist genug Platz für eine Spritztour mit der nackten Gold-Girlgroup, und es ist in Konwitschnys Inszenierung genug Platz, um in solchen Szenen Denkraum zu gewähren, etwa über die Rolle der Kirche bei solchen Raubzügen à la Mexico.
In Details wie diesem spiegelt sich das Raffinement der Inszenierung: Wenn Konwitschny aus dem verstiegenen Surrealismus Artauds und dem artifiziellen Destillat Rihms scheinbar Banales entgegensetzt, wird die Oper keineswegs desavouiert. Eher wird Gedankentiefe ausgelotet.
Wie die Geschichte ausgeht? Montezuma, nach dem Video-Game-Schlacht in ein Hochzeitsgewand gezwängt, liefert dem vom Bildschirm nicht mehr aufschauenden Cortez eine lebensgroße Puppe als Alter Ego. Als Cortez sich getäuscht sieht, verstümmelt er die falsche Braut, wirft die Gliedmaßen im Zorn gegen die Wand und schneidet sich die Pulsadern auf. Er hat ja ebenfalls hoffnungslos verloren, auch wenn er als Sieger in die Geschichtsbücher Eingang finden wird.
Rihm hat auch ans Ende dieses Schlussaktes ein berührendes Stück Lyrik von Octavio Paz gesetzt: Wie untote Schatten sitzen Montezuma und Cortez nebeneinander auf dem Sofa und singen unbegleitet von der „unerschöpflichen Liebe, der Tod entströmt“.
„Ende (?) der Oper“ hat Rihm unters Libretto geschrieben. Das Fragezeichen steht nicht hinter dem Wort Oper...