Klingende Fresken
FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / NÉZET-SÉGUIN
26/07/15 Eine Ouvertüre endet ja häufig mit einer kraftvollen Apotheose. Zwar ist die „Ouvertüre spirituelle“ noch nicht ganz zu Ende, aber das „Philharmonische“ am Samstag (25.7.) im Großen Festspielhaus war ein wuchtiger Abschluss einer vielgestaltigen Woche der Besinnlichkeit.
Von Gottfried Franz Kasparek
Die Wiener Philharmoniker spielen heuer in ihren fünf Salzburger Konzerten Stücke, die sie uraufgeführt haben. Man könnte fragen, ob es nicht spannender wäre, würden sie Werke spielen, die sie einst abgelehnt haben. Gleichviel, auch so kommt es zu neben je zweimal Brahms und Bruckner sowie Mahler und Tschaikowski zu lohnenden Wiederbegegnungen mit Symphonischem von Franz Schmidt und zu Beginn mit Bohuslav Martinů.
Der Sohn eines tschechischen Kirchturmwächters war nicht nur „der am höchsten geborene Komponist“, wie er selber schalkhaft sagte, sondern einer der Großen des 20. Jahrhunderts, der viel zu selten im Konzertalltag auftaucht. Aber dies gilt ja für viele Meister der Moderne, die nicht den Weg der Zertrümmerung, sondern den der kreativen Fortschreibung der Tradition gegangen sind. Wie wäre es mit einer zyklischen Aufführung der sechs Symphonien Martinůs bei den Festspielen? Vielleicht 2019, zum 50. Todestag?
„Les Fresques de Piero della Francesca“, uraufgeführt 1956 unter Rafael Kubelik in Salzburg, beziehen sich auf die Fresken zur „Legende vom Heiligen Kreuz“ in Assisi. Martinůs Partitur leuchtet in allen Farben der Spätromantik bei durchaus innovativer Harmonik, pendelnd zwischen expressiver Energie und hymnischer Befreiung. Ein Werk der Reife, welches zwar Inspiration mitunter durch Kunsthandwerk ersetzt, aber in seiner Lobpreisung der Schönheit zu berühren vermag. Ein wenig fühlt man sich an den alten Richard Strauss erinnert, obwohl Martinů zwischendurch sprödere Nuancen setzt. Yannick Nézet-Séguin badet mit dem Orchester im Klangrausch und lässt dennoch transparentere Akzente entstehen.
Der frankokanadische Dirigent liebt Anton Bruckner. Die „Wiener“ mittlerweile auch, das war ja nicht immer so. Anno 1872 musste Bruckner 300 Gulden aus eigener Tasche zahlen, um eine Gruppe von „Hofopernmusikern“ zur Uraufführung der Messe in f-Moll in die Augustinerkirche zu bekommen. Vorher hatte sich eine Aufführung zerschlagen, wegen „von den Orchestermitgliedern schlecht besuchten Proben“, wie Walter Weidringer in seinem sehr lesenswerten Programmtext feststellt. In der Augustinerkirche gab es sicher nicht eine derartige Riesenbesetzung wie nun im Festspielhaus, aber das Werk fordert eine solche zweifellos heraus. Mit insistierender Gewalt und Herrlichkeit preist Bruckner Gott, oft im Dauer-Forte. Umso überraschender ist das leise Ende mit einer quasi im Raum stehen bleibenden Flöte, die noch einmal das Kernmotiv spielt.
Yannick Nézet-Séguin führt die Massen mit straffer Energie. Bruckners „unerschütterliche Akkordsäulen“ dienen einer im Grunde naiven Religiosität, die sich freilich ähnlich kunstvoll äußert wie die Architektur einer gotischen Kathedrale, deren Decken mit prächtigen Fresken barockisiert wurden. Wie ein riesiges Fresko spannt der Dirigent denn auch die Musik, eine Stunde lang entsteht ein „Glaubensbekenntnis von eherner Kraft“.
Die Philharmoniker spielen das natürlich konkurrenzlos edel. Und das Große Festspielhaus wird wieder einmal so richtig mit brausenden, klingenden Wogen erfüllt. Das fasziniert, ergreift aber nur in seltenen, schön herausgearbeiteten stilleren Momenten. Etwa wenn der Tenor Christian Elsner mit strahlendem Timbre „Et incarantus est“ intoniert. Dorothea Röschmann und Karen Cargill setzen sich im Getöse gediegen, doch nicht ohne Anstrengungen durch. Franz-Josef Selig steuert balsamische Stentor-Basstöne bei. Der Chor des Bayerischen Rundfunks, einstudiert von Peter Dijkstra, lässt keine Wünsche offen, was Sicherheit, Präzision, Kraftentfaltung und Ausdruck betrifft. Gottlob lässt der Maestro eine Pause der Besinnung entstehen, ehe Jubel aufbrandet.