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Vor dreißig Jahren schon festspielreif

SALZBURGER FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT, KIRILL GERSTEIN

29/08/14 Auf Suche nach Neuem bescherte das Hagen Quartett bei seinem zweiten Auftritt in diesem Festspielsommer einen Einblick in ihr Verständnis von Dmitiri Schostakowitschs Schaffen. Mit Johannes Brahms stellte sich der Pianist Kirill Gerstein ein.

Von Horst Reischenböck

Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich noch gut daran, wie er einst den großen Geigenvirtuosen Henryk Szeryng in den Großen Saal des Mozarteums „kutschierte“. Als Botschafter der Jeunesse musicale zeichnete er das noch blutjunge Hagen Quartett (damals noch mit allen vier Geschwistern besetzt) aus. Am Donnerstag (28.8.) haben die Hagens ihr – man glaubt es kaum – dreißig Jahre zurückliegendes Festspiel-Debüt gefeiert!

Nachdem sich schon vor 14 Jahren Primarius Lukas Hagen, Rainer Schmid, 2. Violine, Veronika Hagen an der Viola und ihr Bruder Clemens (Violoncello) mit dem Streichquartett Nr. 3 in F-Dur op. 73 von Schostakowitsch beschäftigten, stellten sie jetzt neueste, nicht nur in Details noch tiefer gehende Erkenntnisse zur Diskussion. Das Werk ist in unmittelbarer Nähe zur 9. Sinfonie entstanden, mit der Schostakowitsch die Erwartungshaltung der Machthaber hinterfotzig umgangen war: nämlich den Sieg nach dem 2. Weltkrieg mit einem tönenden Monument zu feiern. Das Dritte Streichquartett ist formal an die Symphonie angelehnt, indem beispielsweise beide letzte Sätze nahtlos ineinander übergehen. Dies alles zerfasert zum Schluss pianissimo. Zuallererst aber gemahnt der thematisch luzid ironisch gebrochene Einstieg, der vom Geist Altvater Haydns getragen scheint, an Sergei Prokofiev. Nach skurrilem Scherzo knüpft, ironisch zu deutend, preußischer Stechschritt an die Schilderung der Kriegsgräuel in Schostakowitschs Sinfonie Nr. 8 an. Dies perfekt ausgehorcht und in allen Facetten differenziert musiziert war schon ein absoluter, rechtens bejubelter Höhepunkt des Programms.

Dann war das Podium dem 35jährigen Russen Kirill Gerstein vorerst allein überlassen. Ob Tasteninstrumente einst Johannes Brahms (selbst ein veritabler Pianist) oder Franz Liszt wohl immer standgehalten haben? So wie Gerstein die 28 Variationen op. 35 über Niccolo Paganinis bekannte Solo-Caprice Nr. 24 in den Steinway hämmerte, kam man auf solche Gedanken. Voll intensivem Elan stellte sich Gerstein dem großen Werk: Gerade noch in den wenigen tänzerischen Episoden in der 2. Abteilung hat er sich eingebremst, sonst waren es 25 Minuten einer auf ihre Weise ob der Virtuosität beeindruckenden, pausenlosen Tour de force. „Brahms, der Fortschrittliche“, formulierte einst Arnold Schönberg – und Kirill Gerstein schien manches von Serge Rachmaninow oder Witold Lutoslawski vorwegnehmen zu wollen.

Nach der Pause folgte dann Brahms' Schmerzenskind, sein mehrfach umgearbeitetes Klavierquintett in f-Moll op. 34. Dessen Version für zwei Klaviere hob der Komponist übrigens mit dem Liszt-Schüler Carl Tausig aus der Taufe. Ihm hatte er die Paganini-Variationen gewidmet.

Das Klavierquintett ist beinah ein veritables Klavierkonzert: Als solches tönte es auch zunächst im Parkett, wie mit einer überdimensionalen Glocke die Streicher akustisch übermantelnd. Diese korrespondieren ja oftmals nur paarweise oder gar im Alleingang mit dem Flügel. Es wäre vielleicht besser gewesen, das Instrument nur halb zu öffnen oder weiter nach hinten zu rücken. Ein Eindruck, der sich erst im gespenstisch fahlen Scherzo besserte, vor allem aber dann im letztendlich stürmisch auslaufenden Finale, dem das Hagen Quartett die von Gerstein herausgeforderten energischeren Akzente entgegen setzte. Gerstein las seinen Part aus dem E-Book, wie modern.  

Kirill Gerstein wird am 15. und 16. Jänner 2015 bei der Salzburger Kulturvereinigung mit der Burleske von Richard Strauss und Carl Maria von Webers Konzertstück für Klavier und Orchester im Großen Festspielhaus gastieren.
Bild: Salzburger Festspiele / Harald Hoffmann (1); Sasha Gusov (1)

 

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