Jungen Menschen das Leben gestohlen
FESTSPIELE / LESUNG 2
19/08/14 In einen denkwürdigen Beitrag zum übergeordneten Thema der Festspiele - dem Ersten Weltkrieg - kamen Texte zur Sprache, die zeigen, wie Betroffene die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts erlebten. In der ersten Festspiel-Lesung „Werd' ich leben“ vor gut einer Woche wurden Feldpostbriefe vorgetragen, in der zweiten waren es ebenfalls Briefe, aber auch Tagebücher und andere Erinnerungen.
Von Werner Thuswaldner
Die zwölfjährigen Elfriede schildert in ihrem Tagebuch die Euphorie zu Kriegsbeginn schildert. Ein südamerikanischer Söldner muss zusehen, wie osmanische Truppen armenischen Christen die Kehle durchschneiden: Die zweite Festspiel-Lesung am Montag (18.8.) im republic basierte auf dem 2011 erschienen Buch von Peter Englund, „Schönheit und Schrecken“.
Der Schwede Englund, Historiker und Schriftsteller, ist ständiger Sekretär der Schwedischen Akademie, die für die Vergabe des Literaturnobelpreises zuständig ist. Aber er arbeitete auch als Kriegsberichterstatter und war nahe dran am Geschehen des Jugoslawienkriegs in den neunziger Jahren und später in Afghanistan. Er gewann drastische Eindrücke, die ihn gut verstehen ließen, was Teilnehmer am Ersten Weltkrieg mitmachten.
In seinem Buch reiht Peter Englund die Schicksale von neunzehn Betroffenen aneinander, die er so auswählte, dass ein weitgespanntes Panorama erfasst und alle vier Kriegsjahre in den Blick genommen wurden.
Für die Lesung wurden zehn Texte ausgewählt. Vier Schauspieler und eine Schauspielerin (aus dem „Jedermann“-Ensemble) trugen sie vor. Fritz Egger etwa versetzte sich in die Rolle des 20-jährigen feinsinnigen Kavalleristen der österreichisch-ungarischen Armee, der erlebt, dass das hohe Ansehen der Reiterei im Kriegsverlauf sich in Nichts auflöst. Egger übernimmt aber mit markanter Diktion auch den Part des 23-jährigen italienischen Gebirgsjägers Paolo Monelli, der über den Anblick von Leichen berichtet und die Sinnlosigkeit des Kriegs unter Extrembedingungen im Hochgebirge anschaulich macht.
Grotesk hörte sich, vorgetragen von Johannes Silberschneider, die Geschichte des Südamerikaners Rafael Nogales an, der sich aus purer Abenteuerlust am Krieg beteiligen möchte, von mehreren Armeen abgelehnt wird, bis er bei den Osmanen landet. Die Euphorie vergeht ihm aber, als er zusehen muss, wie armenischen Christen die Kehle durchgeschnitten wird. Silberschneider las überdies vor, wie ein 22-jähriger russischer Offizier 1917 in St. Petersburg die Auswirkungen der Revolution zu spüren bekommt.
Die Australierin Olive King gehörte zu jenen, die voller Sehnsucht den Kriegsbeginn herbeisehnten, die dann aber auch, angesichts von Gräueln in Serbien und Griechenland geläutert wird. Ihr gab Katharina Stemberger die Stimme. Ebenso wie dem 12-jährigen Mädchen Elfriede, das, benommen von Glücksgefühlen, im August 1914 zusieht, wie hochgestimmt die einberufenen Soldaten zu den Waggons eilen, um an die Front gebracht zu werden.
Jürgen Tarrach, der originelle Mammon im „Jedermann“, trug vor, wie ein französischer Beamter, der sich’s zu richten verstand, die Stimmung in seiner Stadt Paris registriert, zuerst die Siegesgewissheit und später den dringenden Wunsch nach Frieden. Ob die Geschichte – ebenfalls von Tarrach gelesen - von dem belgischen Flieger stimmte, der Sehnsucht nach seiner besetzten Heimatstadt Brüssel verspürte und einfach einmal hinflog, ganz nah an seinem Elternhaus vorbei, so nah, dass er zwei Gestalten am Fenster erkennen konnte?
Beklemmend hörte sich an, wie tapfer sich der 21-jährige britische Infanterist Alfred Pollard in den Grabenkämpfen schlug. Martin Vischer charakterisierte den jungen Mann mit heller Stimme sehr markant. „Pollard will einem Soldaten gerade einen Sack Handgranaten geben, als der Mann plötzlich zusammenbricht. Gleichzeitig spürt Pollard, wie seine eigene rechte Hand herunterfällt und der Sack seinem Griff entgleitet. Eine Kugel hat den Mann vor ihm gerade durchbohrt, dann die Richtung geändert und ist mit der stumpfen Seite nach vorn in Pollards Schulter gedrungen.“ Ob eine hohe Auszeichnung durch den König persönlich eine Entschädigung dafür war, zum Krüppel geschossen worden zu sein, darf bezweifelt werden.