Des Georg Trakls Weh und Ende
FESTSPIELE / YDP 4 / DER ABSCHIED
16/08/14 Walter Kappacher, ein lange unterschätzter Autor, der schließlich doch mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet worden und so quasi in den Schriftstellerhimmel gehoben worden ist, gilt als einer der besonders Feinsinnigen in seiner Zunft. Dafür wird er mit schöner Regelmäßigkeit gelobt.
Von Reinhard Kriechbaum
„Der Abschied“, vierter und letzter Punkt des Young Director’s Project der Festspiele, ist nun wirklich echt feinsinnig. So fein und zurückhaltend, dass alles weggefallen ist, was auch nur den leisesten Schatten werfen könnte auf den Nachruhm des Georg Trakl, dessen letzte Tage wir hier in einem Monolog erleben.
Der am Freitag (15.8.) in der ARGEkultur uraufgeführte „Abschied“ ist ein Auftragstext für die Salzburger Festspiele. Ein unaufdringlicher, unprätentiöser Text. Damit ist die erste Pflicht erfüllt und dem Schöpfer gedankt. Nun können wir darüber nachdenken, wozu wir uns die knapp anderthalb Stunden eigentlich haben antun müssen. Und darüber, ob die Inszenierung von Nicolas Charaux, ob der recht beeindruckende Bühnenentwurf von Pia Greven und ob das äußerst bemühte Spiel von Paul Herwig sich wirklich lohnen für einen Monolog, der kaum mehr offeriert als biographische Streiflichter.
Schulklassen sollte man freilich hinein setzen, denn da lernen sie was: Dass Trakl die Schlacht im ukrainischen Grodek unbeschadet an Leib, nicht aber an Seele überstanden hat. Er war Sanitäter, man war personell und materialmäßig auf die Katastrophe eines aus dem Ruder laufenden Gemetzels nicht vorbereitet. Das Trauma führte letztlich dazu, dass Trakl Anstalten machte, sich zu erschießen. Er kam dann nach Krakau ins Spital zur Psycho-Beobachtung und hat sich dort mit Kokain, das er gut versteckt einschmuggelte, ins Jenseits abgesetzt. Aus Kriegs-Perspektive ein Kollateralschaden. Für den Expressionismus in der Literatur ein unersetzlicher Verlust.
Trakl hat uns das Gedicht „Grodek“ hinterlassen, eine Miniatur mit maximaler Ausdrucksintensität. Seine 17 Zeilen rütteln entschieden mehr auf als Kappachers Text. Leises Understatement ist das Allerletzte, was das Thema braucht. Nur wenn man mit der Lupe sucht, wird man ein paar Halbsätze finden, in denen Trakl/Kappacher aussprechen, dass mit Dichterworten nicht viel auszurichten ist im Kriegs-Ernstfall. Auch nicht die große Erleuchtung.
Auf der schwarzen Bühne, von unten links und rechts seitwärts beleuchtet, steht ein bedrohliches, im Kreis zu drehendes, kubisches Gebilde. Das wackelt erst stark, bevor sich der Insasse einen Weg nach außen bricht durch die Gipskartonwand. Von außen wird Trakl dann mit der Axt noch ein paar Löcher schlagen, und jedes Mal wird es effektvoll stauben. Gips wird viel zu selten eingesetzt in der Bühnenbildnerei, ein geschickter Beleuchter kann viel machen aus den Staubwolken.
Die Beleuchtung zaubert auf den Kopf von Paul Herwig einen Schatten, so dass er aussieht wie ein Irokese. Nur haarlos. Sehr charismatisch spielt Paul Herwig das seelische Auf und Ab durch, oft in gefasster Ruhe, quasi-distanzierter Eigeneinschätzung. Aber er kann auch schreien, kreischen, toben. Das versteht man gut. Sofern man als Zuschauer nicht emphatisch grundgestimmt ist, nimmt man’s eben zur Kenntnis.
So wie Trakl ist es vermutlich vielen gegangen, die Ähnliches miterlebt haben. Einen aus der Klasse der Underdogs, den Herrn Hinkemann, haben wir im Stück von Ernst Toller vor zwei Wochen bei YDP ja schon kennen gelernt. Walter Kappachers belesener Trakl ist intellektuell logischerweise viel besser drauf. Er zitiert sich manchmal selbst und noch lieber den Barockdichter Johann Christian Günther, der – wie Trakl – auch nicht alt geworden ist. Trakl erzählt von seinem Innsbrucker Freund Ludwig von Ficker, der ihn in Krakau aus dem Spital holen wollte. Das ist an der Bürokratie und wahrscheinlich an der Hellsichtigkeit der Ärzte dort gescheitert. An seine Schwester Grete erinnert sich Trakl natürlich auch, mit gebotener (und eigentlich verbotener) Leidenschaft. Wenn er vom Blut erzählt, als sie ihr Kind verloren hat, kommt kurz beinah Farbe in den sonst reichlich anämischen Text.
Zuletzt zieht Trakl sich zum Sterben in eine sargförmige Ausnehmung im schwarzen Kubus zurück. Dazu zieht er etwas an, was weder Mönchskutte noch Totenkleid ist. Aber was? Leise passiert es jedenfalls, und entspricht damit der Erwartung nach den abgesessenen anderthalb Stunden.