Die Sehnsucht! Kennnt ihr sie?
GROSSE SCHUBERTIADE
16/08/14 In „Fierrabras“ stehen die Chöre der Ritter und Muselmanen an der Rampe und sind kaum zu bewegen, aus sich heraus oder gar aufeinander loszugehen. Wie viel Farbe und Leben in der Chormusik von Franz Schubert liegt, das zeigte eine gestandene Sängerschar bei der „Großen Schubertiade“.
Von Heidemarie Klabacher
Es tost und braust, es sprüht und stürzt der Gebirgsbach „unmutig stufenweise zum Abgrund“. Ein tiefer schwerer Ton wie aus dem Inneren der Erde beruhigt das Toben. Und schau nur! „Im flachen Bette schleicht er das Wiesental hin.“ Schuberts „Gesang der Geister über den Wassern“ D 714 für Männerchor und Streichquintett ist Programm-Musik vom Feinsten. Man könnte vergessen, dass der Textdichter Goethe eigentlich ein Gleichnis für die Wechselfälle des Seelenlebens hat aufstellen wollen, so farbig lässt der Komponist Schubert im Chor- und im Streichquintettsatz anschaulichste Bilder von Fluss und Fels entstehen.
Fast noch schöner, jedenfalls noch viel inniger, ist der „Nachtgesang im Walde“ D 913 für Männerchor und Waldhorn-Quartett. Diese wundersame Hymne an die Nacht ist kaum einmal wo zu hören. Wer hat schon vier Waldhörner bei der Hand.
Zwei Damen - Cecilia Bartoli und Marie-Claude Chappuis – setzten strahlende Glanzlichter bei der „Großen Schubertiade“, die im Übrigen ganz dem betörenden Charme des Klanges eines brillant ausbalancierten Männerchores gegolten hat. La Bartoli sang Lieder Schuberts auf italienische Texte, die, so das Programmheft, „in der Regel dem Unterricht bei Antonio Salieri“ entstammen. Marie-Claude Chappuis bezauberte im Wechselgesang mit dem Männerensemble mit dem „Ständchen“ D 920.
Ein Quintett hochrangiger Liedsänger von „Heute“ und von „Damals“ haben sich unter der Leitung des Dirigenten Diego Fasolis zusammengetan mit den Mitgliedern des Coro della Radiotelevisione Svizzera, Lugano. Dass dieses perfekt homogen singende und ebenso perfekt phrasierende Ensemble aus Mitgliedern nichtdeutscher Muttersprache bestehen soll – kaum zu glauben! Wie sie das Ineinander und Gegeneinander der Wellen im „Gondelfahrer“ hörbar machten oder das Raunen und Rauschen der Nacht im „Nachtgesang im Walde“ – welch ein Vergnügen!
Unbeschwert, lebendig, bewegend haben diese „Musikanten“, Chor und Solisten, gemeinsam Schätze einer versinkenden Musikkultur gehoben und vor ihrem herzlich dankbaren Publikum ausgebreitet. Wann hört man heute noch Chormusik von Franz Schubert? Hie und da einmal die B-Dur Messe. Unzählige Chorstücke, die im Rahmen der „Schubertiaden“ – der echten im privaten Kreise damals – von Schubert und seinen Freunde quasi vom frisch beschriebenen Notenblatt weg aufgeführt wurden, sinken in Vergessenheit.
Das Programm im Großen Saal des Mozarteums spiegelte die Bandbreite dessen, was da vergessen wird: vom heiteren Trinklied bis zum philosophisch verbrämten „Gesang der Geister über den Wassern“, vom großen Chorlied mit Tenor-Solisten bis zum kaum mehr bekannten Männerchor mit oder ohne Horn-Quartett.
Auch bekannte Sololieder standen auf dem Programm. Der Tenor Michael Laurenz sang etwa drei Lieder aus der „Schönen Müllerin“, und zwar so, dass man neugierig wurde und den Sänger bald einmal in einem Liederabend erleben möchte. Vor allem aber hat Laurenz etwa in „Nachthelle“ D 892 mit großen fein timbrierten Melodiebögen das Ensemble überstrahlt. Der Bariton Oliver Widmer hat sein Publikum etwa mit dem „Erlkönig“ das Fürchten gelehrt. Der Bariton Kurt Widmer hat bescheiden den ganzen Abend über nur im Ensemble mitgesungen und dann zusammen mit seinem Sohn und zwei Hornisten eine volksliedhaft-schlichte Zugabe gegeben.
Begleitet wurden Sängerinnen und Sänger von Ann Beckmann auf dem Hammerklavier. Sie hat den Abend mit dunkelwarmen Tönen virtuos grundiert, die unbekannten Chöre beflügelt, den bekannten Liedern eine absolut einzigartige Atmosphäre verliehen. So bedrohlich und drängend und zugleich schillernd man die Begleitung zum „Erlkönig“ auf modernem Klavier selbst von den besten Begleitern noch nicht gehört.
Wie vor Dirigenten oder Regisseuren machen diese Festspiele auch bei den Sängern da und dort eine Verbeugung vor großen Namen von „damals“: Robert Holl bewegte bei der „Großen Schubertiade“ mit dem „Zügenglöcklein“ und vor allem mit der „Taubenpost“. Schön, die jubelnde Reverenz des Publikums vor dem großen Liedgestalter.
Mehr als zwei Stunden ohne Pause währte dieses Schubert-Glück. Sie hätten alle miteinander gerne noch einmal zwei Stunden weitermachen können.