Glücks zuviel
LIEDERABEND / HARTEROS / RIEGER
11/08/14 Schöne Lieder, schön gesungen und traumhaft schön begleitet: Die Sopranistin Anja Harteros und der grandiose Wolfram Rieger gaben einen „klassischen“ Liederabend. Auf dem Programm am Freitag (8.8.) im Haus für Mozart standen zwei Liedblöcke, einer mit Schlagern von Schubert, einer mit Knüllern von Brahms. Zugabe: Du holde Kunst.
Von Heidemarie Klabacher
Wenn die großen Liedsänger ihre Programme „heutzutage“ noch alle so aufbauen würden – viele langsame Lieder von Schubert und Brahms zum Wegträumen und ein paar flotte zum Aufwecken dazwischen gestreut – dann wäre man mit dem Liederabend von Anja Harteros überglücklich. Dann würde man höchstens nebenhin anmerken, dass nicht jedes Schubert-Lied von Richard Strauss komponiert worden ist und dass Textverständlichkeit schon eine wertzuschätzende Qualität im Liedgesang ist.
Anja Harteros ist eine grandiose Opernsängerin. Ihre Elisabeth von Valois im Don Carlo hat man nicht vergessen. Auf dem Konzertpodium besticht Anja Harteros ebenso wie auf der Opernbühne mit stupender Technik. Diese vielfarbige reich timbrierte Stimme entfaltet ihre Qualität in der tieferen und in der mittleren Lage ebenso betörend, wie in der Höhe: Atemberaubende Piano-Passagen auf strahlenden Linien bruchlos in hohe und höchste Lagen geführt, bescheren reinstes Sopranglück.
Wie schön, dass just an diesem Abend der Mond (der echte) draußen schon ziemlich voll war und ebenso funkelnde „Silberflimmer“ ausgoss, wie Anja Harteros drinnen im Lied „An den Mond“. Ein Höhepunkt.
Auch das „Lied der Mignon“ hat Anja Harteros delikat in klarstem piano beginnen lassen. „So lasst mich scheinen, bis ich werde…“ Man war gespannt darauf, war aus der ätherischen ersten Strophe werden würde. Der erwartete Abgesang ins Überirdische ist ausgeblieben. Entwickelt hat sich eine Mini-Opernszene, die das Geheimnis ganz einfach erschlagen hat.
Immer wieder hat Anja Harteros an diesem Abend die Gattung „Lied“ beinahe gesprengt. Die Tendenz zur Über-Gestaltung, oft just in der letzten Liedzeile, irritierte besonders bei den introvertierten Schubert-Liedern, tat aber auch den durchwegs expressiveren Brahms-Liedern kein Gutes.
„Die junge Nonne“ mit ihrem Überschwang (und dem wegen Liebesverzweiflung angenommenen Gebaren einer künftigen Heiligen), hat Anja Harteros' opernhaften Zugang gut vertragen. Am Ende ertönte denn auch „friedlich das Glöcklein vom Turm“. Hier sei endlich die Verbeugung vor dem grandiosen Wolfram Rieger eingefügt, der nicht nur dieses Glöcklein zum Klingen, sondern etwa auch das das Brahms’sche Veilchen zum Blühen gebracht hat.
Der perfekten Technikerin Anja Harteros sind die Glissandi im „Alleluja“ der jungen Nonne oder Mignon-Lied sicher nicht „passiert“. Sie wird sie absichtlich gemacht haben. Aber warum? Diese Manierismen haben da und dort auf Vokalfärbung und Textverständlichkeit durchgeschlagen. Zusammen mit der sehr beliebigen Liedauswahl ergeben sich doch einige Vorbehalte.
Es ist nicht so, dass man einen Liederabend „heutzutage“ nur mehr dann zu schätzen weiß, wenn man hinterher einen Therapeuten oder einen Seelsorger braucht. Liederabende von Christian Gerhaher fallen nicht selten in diese Kategorie: So tief blickt dieser Ausnahme-Liedgestalter dem Menschen ins Innerste. Eine Anna Prohaska hat mit Liedern vom Krieg quer durch die Jahrhunderte erst jüngst Grauen und Hoffung zugleich beschworen. Da waren die Lieder mehr als nur Vehikel zum Demonstrieren einer schönen Stimme.