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Vom Laienspiel der Museumspädagogen

FESTSPIELE / IL TROVATORE

10/08/14 „Ich möchte der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts werden.“ Den überraschenden Satz hat Alvis Hermanis vorab in einem Zeitungsinterview von sich gegeben. „Gelungen“, muss man ihm jetzt, nach der Premiere von Verdis „Il trovatore“ bei den Salzburger Festspielen zurufen.

Von Reinhard Kriechbaum

Anna Netrebko und Placido Domingo, da ist Hype angesagt. Schon fast beängstigend die Menge der Promi-Gaffer bei der Premierenauffahrt am Samstag (9.8.). Sage keiner, dass in Alvis Hermanis‘ Opernmuseum nicht viel los sei. Da drehen sogar die Bilder durch. Der lettische Theatermann hat sich auf die Riesenbühne des Großen Festspielhauses einen Ausstellungssaal bauen lassen, der sich auflösen kann. Wenn sich das Personal des Museums nach Feierabend hinein träumt in die deftige Troubadour-Geschichte, dann bekommen die Wände Beine. Einen Opernabend lang geht’s rund, fahren die Dekorationsteile mit den Gemälde-Schinken hektisch herum. Ohne durchschaubares System, aber auch ohne wirklich ernsthaften Crash. Einmal strahlt ein irregeleiteter Spot gerade so, dass man die Kulissenschieber als mächtigen Schlagschatten sieht.

Für ihr Museums-Spiel, das auf eine ziemliche Klamotte mit Händeringen und Rampensingen hinausläuft, ziehen sich die Leute – berufstypisch: lauter graue Mäuse – passende Kleider an. Die Festspiele haben einen Riesenposten an rotem Samt hoffentlich preisgünstig aufgekauft, und so sind sie alle in Rot: die tänzelnden Zigeunermädchen, die Mannen um den Grafen Luna, die Protagonisten. Ihrer sind ja nicht viele, man behält schon die Übersicht.

Die Story selbst belässt der lettische Regisseur, der es rasch zum international gefragten Shooting Star für alles nur Mögliche auf der Schauspiel- und Opernbühne gebracht hat, in ihrer Zeit. Vielleicht will Alvis Hermanis uns sagen: Den Troubadour inszeniert man am g‘scheitesten überhaupt nicht, lässt der knalligen Story lieber ihren Lauf: Graf Luna liebt Leonora, die aber liebt Manrico. Der wiederum ist der der Bruder des Grafen, aber das weiß nur die Zigeunerin Azucena, die das eigene Kind irrtümlich ins Feuer geworfen und stattdessen Manrico großgezogen hat. Azucena hält dicht, so lange, bis Graf Luna aus Eifersucht Manrico erstechen lässt und Leonora sich mit Gift ins Jenseits befördert hat. Im letzten Satz erst schreit sie dem Grafen entgegen, was er da angerichtet hat.

Alvis Hermanis führt uns das als Geschichte weniger in Bildern als unter Bildern vor. Die Menschlein werden fast erdrückt von den Renaissance-Schinken. Madonnenbilder dominieren klar.

Vom Feuertod ihrer Mutter und davon, wie sie Manrico an Sohnesstatt aufgenommen hat, berichtet Azucena (zu dem Zeitpunkt noch Führerin im Museum) vor einer Madonna mit Jesusknaben und Engel. Die Madonna lactans (die das Kind säugt), Jesus und der Johannesknabe – all die einschlägige Ikonographie ist optisch mächtig angesammelt. Selbst Leda mit dem Schwan verirrt sich in diese Blütenlese aus der Kunstgeschichte, Amor und Cupido sowieso. Ikonographie ist aber ein heikles Thema für einen Theatermann, wenn er sich nicht wirklich drauf versteht. Soll uns erzählt werden, dass Graf Luna – er ist eigentlich Nachtwächter im Museumsbetrieb – ein triebgelenkter Falott ist im erzkatholischen Spanien, und die Zigeuner-Outlaws eigentlich die viel besseren Katholiken wären? Ja vielleicht. Aber das müsste man zeigen und nicht nur wüst mit überdimensionalen Bildern fuhrwerken.

Vielleicht soll uns aber auch gar nichts erzählt werden und wir sind bloß Zaungäste leichter bis mittelschwerer psychischer Deformierungen. Die trägt man ja wohl davon, wenn man auf lange Sicht nichts anderes tut als im Museum Bilder zu bewachen oder mäßig interessierte Leute dran vorbeizuführen. Ist dieser „Trobadour“ gemeint als Spiegel fürs psychohygienische Laienspiel von Museumspädagogen? Meist warten sie damit bis nach Kassenschluss, aber in zwei Szenen sind auch Museumsbesucher zupass. Die wundern sich aber nicht darüber, was sie sehen. Sie sind an pädagogische Interventionen wohl gewohnt.

Auf so etwas wie Personenregie hat Alvis Hermanis sich nicht eingelassen. Es ist eigentlich reines Herumsteh- und Verlegenheitsgesten-Theater, so als ob man einer Anna Netrebko oder einem Placido Domingo szenisch rein gar nichts zutrauen dürfte oder wollte.

Die Netrebko ist musikalisch nun wirklich das Zentrum des Abends. Die Stimme dieser Sängerin hat im unteren Register nicht nur an Volumen, sondern an samtigem Timbre mächtig zugelegt, und die Höhen leuchten immer noch wie eh und je. Und beides geht bruchlos zusammen. Ihre Leonora ist die große Tragödin, aber eine in menschlichem Maß. Kein Zuviel an Gestaltungs-Überdruck. Keine andere Sängerin wollte man in dieser Rolle erleben.

Anna Netrebko ist freilich die einzige Einzigartige in der Sängerrunde. Das mindert dann doch den Hype, der um diesen Salzburger Troubadour vorab entfacht worden ist. Francesco Meli ist ein geradlinger Tenor, ungefährdet in den Höhen, kernig in der Stimmführung, immer bereit, es auch mal mit lauterern Orchesterwogen aufzunehmen. Aber das war’s auch schon, das Gestalterische ist seine Sache nicht. Marie-Nicole Lemieux als Azucena verirrt sich in ihrer ersten balladenhaften Schilderung der Vorgeschichte in einen Ausdruckswillen, der deutlich auf Kosten der Intonation geht. Dann aber, im vierten Akt, entfaltet sie eindrucksvolle Lyrismen. In der ruhigen Gefasstheit überzeugt sie deutlich mehr als im Dramatischen. Riccardo Zanellato als Ferrando ist, wie man so schön sagt, rollendeckend.

Ja, der alte Domingo! Als wohlmeinender Berichterstatter flieht man da gerne in die Kategorie: intensive Gestaltung. Man will ja kein Spaßverderber sein und nicht so direkt schreiben, dass für diese Art des Singens in Wirklichkeit nur mehr ein Wort in Frage kommt: posthum.

Im Orchestergraben halten einander Daniele Gatti und die Wiener Philharmoniker in Schach. Das heißt: Der Dirigent hat seinen Verdi stilistisch im kleinen Finger, und das Temperament köchelt. Die Wiener Philharmoniker setzen auf ein besonders warmes Timbre und sie geben von Natur aus nicht zu viel Lautstärke. Der Bühnenkontakt könnte noch deutlich besser werden.

Das Klima ist maximal sängerfreundlich, und davon profitiert als allererste Anna Netrebko. Ihr hat auch der meiste Beifall des Premierenpublikums gegolten. Für Troubadour- und Salzburg-Verhältnisse ist dieser Schlussbeifall aber in Summe bemerkenswert unbestimmt ausgefallen. Von Standing ovations, mit denen man hierorts im Sommer durchaus rasch zur Stelle ist, keine Spur. Als das Regieteam auf die Bühne kam: kaum Bravos, ganz verhaltene Buhrufe, statt dessen merkbares Volksgemurmel. Ein bisserl Ratlosigkeit darf schon sein.

Alle weiteren Aufführungen bis 24. August sind ausverkauft - www.salzburgerfestspiele.at
Am kommenden Freitag (15.8.) wird die Fernsehaufzeichnung auf ORF2, Arte und CLASSICA ausgestrahlt, Ausschnitte werden am 22.8. um 24 Uhr im ZDF in dem Porträt „Anna Netrebko – Die Kunst der Verwandlung“ gezeigt.
Bilder: Salzburger Festspiele / Forster

 

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