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Josef kommt nicht, aber das Kind kommt bald

FESTSPIELE / YDP 2 / 36566 TAGE

10/08/14 36566 Tage – so viele sind vergangen seit dem verhängnisvollen Attentat auf den Kronprinzen in Sarajewo bis Tag der Uraufführung eines Stationenstücks mit eben diesem Titel beim Young Director’s Project der Salzburger Festspiele. Dafür hat man als Zuschauer rund 14400 Sekunden investieren müssen.

Von Reinhard Kriechbaum

2,5 Sekunden pro verflossenem Tag – so viel wird schon drin sein in Sachen zeitgeschichtlichen Gedenkens, könnte man denen antworten, die vier Stunden als etwas üppig ansehen für dergleichen. Freilich: Die vier Stunden sind eine willkürliche Annahme. Was eine kleine Armee von Studierenden des Thomas Bernhard Instituts an der Universität Mozarteum aus dem Thema gemacht haben, täte für geschätzte sieben Stunden reichen. Das Publikum wird in zehn Grüppchen geteilt, die ziehen herum in zwei Häusern, dem Theater im Kunstquartier und dem ehemaligen Kasernengebäude an der Wolf-Dietrich-Straße, wo jetzt die großzügigen Unterrichtsräume des Thomas Bernhard Instituts sind. In den vorgesehenen vier Stunden schaffte der Schreiber dieser Zeilen 8 von 17 Stationen.

Hans-Werner Kroesinger, Spezialist für Dokumentartheater, hat die jungen Leute – angehende Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner und sogar eine Kompositionsstudentin – auf Recherche geschickt. Dieses Handwerk gehört ja auch eingeübt. Ein jeder und eine jede musste sich was aus der fraglichen Zeit herauspicken, einen damals jungen Menschen oder eine Begebenheit. Dass Google bei dieser Zeitdistanz (noch) nicht weiterführt, soll eine tiefe Erfahrung für die junge Leute gewesen sein, heißt es. Übrigens wäre mit Facebook manches Heimkehrerdrama zu verhindern gewesen. Es geht also doch was weiter, auch wenn Kriege noch immer nicht passé sind.

Bei 29 jungen Leuten kommt einiges an Bienenfleiß und sogar kreatives Potential zusammen. Im Salzburger Marionettentheater fanden sich in einer bisher nicht beachteten Kiste Briefe eines Sohnes des Theatergründers. Der hatte sich im Feld eine Lungenkrankheit zugezogen, schrieb aus der Heilanstalt mehrere Jahre nach Hause an seine Schwester. 1919 ist er dann sozusagen als mittelbares Kriegsopfer gestorben: Für eine szenische Lesung hat man Spitalsbetten im Hof der Ausbildungsstätte in ein imaginäres Gebäude aus Holzlatten gestellt. Ebenfalls im Hof spielt ein Drama um einen Deserteur. Der wird auf dem Exerzierplatz mit Liegestütz geschunden („Die Dame im roten Kleid sagt eine Zahl zwischen eins und zwanzig“), während die Verlobte daheim leidet („Josef kommt nicht, aber das Kind kommt bald“). Das Kind geht verloren, Josef wird als Deserteur gehängt. Gespielt wird auf einem Areal mit viel Auslauf.

Ein türkischstämmiger Schauspielstudent hat sich etwas Originelles ausgedacht: Es gibt noch Angehörige der türkischen Kalifen, der Herrscherfamilie Osman, die 700 Jahre lang regiert hat. Der Jungschauspieler hat Nachkommen interviewt. „Tee-Empfang im Hause Osman“ ist nun wörtlich zu nehmen, das Publikum bekommt Pfefferminztee und Lokum gereicht, während der junge Mann Kleider und Hüte wechselt und so ein Stück Exil-Schicksal auf kaiserlicher Hoheits-Ebene lebendig macht. Weniger gut ist es den Geschwistern Knoll gegangen, Bauern am Stadtrand von Salzburg. Der Älteste (Hofbesitzer) war zwei Jahre in Kriegsgefangenschaft und wurde schon für tot gehalten. Als er wiederkam, musste der jüngere Bruder, der sich schon als Jung-Bauer gesehen hatte, das Feld räumen. Krieg bringt Lebensplanung durcheinander.

„Russenfreundlichkeit der Damenwelt“ heißt die Rauminstallation von Bühnenbildstudenten – eine Salzburger Krankenschwester war in einem Kriegsgefangenenlager einem Insassen entschieden zu nahe gekommen und musste dafür büßen. Man hört Dialoge aus dem Vernehmungsprotokoll und sieht den Tisch und Stühle im Amtsraum, die von schwarzen Spinnweben umnetzt sind. Ein Bühnenbildstudent hat aus Lämpchen pingelig den Sternenhimmel über Salzburg am Tag der Kriegserklärung nachgebaut. Standen die Sterne auf Krieg? Hobbyastrologen im Publikum wären herausgefordert.

So geht das also dahin. Die Studenten haben gewiss ganz viel gelernt bei dem das ganze Ausbildungsinstitut fordernden Unternehmen. Vor allem haben sie gelernt, Material zu konzentrieren und Szenen gut zu timen (nichts durfte länger sein als eine halbe Stunde). Man hat als Zuschauer nicht den Eindruck, dass Episoden aufgeblasen würden. In der Auswahl, die der Schreiber dieser Zeilen mitbekommen hat, war aber auch keine einziger Moment, in dem man über das konkrete Illustrieren oder Nacherzählen hinaus gekommen wäre. Mit einfachen Mitteln ist vor-gespielt worden. Nie einfältig oder peinlich, aber eben auch nicht doppelbödig oder hinter-sinnig. Nur im chorisch gestalteten Prolog und Epilog wird Heutiges in marginaler Dosis angesprochen.

Im Salzburg Museum läuft gerade die Ausstellung „Salzburg im Ersten Weltkrieg“, es geht um das Kriegs-Erleben weitab von der eigentlichen Front. Dazu gibt es einen dickleibigen wissenschaftlichen Katalog, den kaum einer lesen wird. „36566 Tage“ wäre eigentlich die Theaterproduktion dazu – viel bekömmlicher und trotz ihrer Dauer eigentlich recht abwechslungsreich. Treppensteigen ist die einzige Mühe.

Weitere Aufführungen am 10., 11. Und 12. August, jeweils 19 Uhr, Beginn im Theater im Kunstquartier – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Bernhard Müller

 

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